Hilft beten?

Hilft beten? Zur Wirksamkeit von Gebeten

Beten hilft – zumindest legen das die Ergebnisse einiger Studien nahe. Doch anstelle eines übernatürlichen Wirkprinzips und irgendwelcher Gottheiten, die barmherzig die Bitten ihrer Anhänger erfüllen, stehen einfache psychologische Effekte. 

Hilft beten – und wenn ja, wie?

Beten ist ein Gespräch mit Gott – so klingt das zumindest aus Sicht der Kirche. Wenn man sich also vorstellt, wie beten hilft, denkt man üblicherweise an die eine oder andere Gottheit, die Gebete empfängt wie mentale Telegramme.

Und je nachdem, ob sie gerade geneigt ist oder dem Beter eine Lektion erteilen will, werden Gebete erhört oder nicht.

Hilft beten?
Manchmal scheint der Empfang gestört zu sein

Was ist eigentlich beten?

Die evangelisch-reformierte Kirche Zürich zum Beispiel formuliert dies so: 

„Das Gebet ist ein Reden des Herzens mit Gott. Wer betet, ehrt Gott, denn Gott will, dass wir zu ihm reden. Was können wir ihm sagen? Vor allem unsern Dank, unser Lob und unsere Freude, die darin ihren Grund haben, dass Gott da ist, für uns und für alle Welt.“

Diese erbauliche Beschreibung ist natürlich leicht tautologisch. Gott will, dass wir mit ihm reden, weil er es will. Er verlangt unsere Verehrung, weil er anbetungswürdig ist und dergleichen. Das alles klingt zirkulär und irgendwie unlogisch, besonders, wenn man von den im Christentum üblichen Zuschreibungen Gottes ausgeht: allmächtig, allgütig, allwissend.

Warum sollte ein allmächtiges, allgütiges Wesen auf unsere Verehrung pochen? Und hat der Schöpfer und Designer des Universums nichts Besseres zu tun, als den kleinen Tim eine 3 statt einer 5 in Englisch schreiben zu lassen? Und wäre ein Gebet nicht identisch mit der Bitte, einen „perfekten“ göttlichen Plan zu eigenen Gunsten zu ändern?

Aber lassen wir den übernatürlichen Quatsch vorerst beiseite und betrachten die Wortherkunft des Betens. 

Das Gebet als Bitte: Etymologie des Betens

Üblicherweise ist das Gebet als „Bitte“ formuliert. Menschen bitten um Heilung, um Gesundheit, um Reichtum, Wohlstand, kleinere Bäuche und größere Penisse. Sie beten, dass der BVB es ins Champions-League-Finale schafft und dass Susi von nebenan einen auf dem Pausenhof einmal anlächelt.

Es ist leicht zu sehen, dass die Worte beten und bitten miteinander verwandt sind, und tatsächlich leitet sich etymologisch das Gebet von der Bitte aus dem Althochdeutschen ab. 

Die Gebrüder Grimm dazu in ihrem „Deutschen Wörterbuch“: 

Gebet
Gebet, Bitte, wenigstens in wichtigen Fällen, flehende Bitte, besonders an Höhere gerichtet.

Allerdings sind nicht alle Gebete Bittgebete. Es gibt auch Dankgebete (zum Beispiel das Tischgebet) oder Lobgebete. Die Gebete lassen sich noch weiter unterteilen – so nennt man Bittgebete für andere eine „Fürbitte“ etc.

Auf unnachahmliche Weise parodierten die Komiker von Monty Python die Bittgebete, Gott möge die Menschen nicht auf vielerlei Arten kochen bzw. braten bzw. pochieren bzw. grillen

Wem hilft beten?

Wem hilft ein Gebet, gibt es da Voraussetzungen?

Muss ich schon vorher ganz fest an die Wirkung des Gebets glauben, sonst passiert nichts?

Gibt es Formfehler, die man machen kann?

Gibt es bestimmte Uhrzeiten oder andere Gebetsvorgaben, die die Wirkung des Betens befördern?

Mit etwas Zynismus lässt sich diese Frage am leichtesten beantworten: Gebete helfen vor allem den Kirchen. Dem liegt ein so einfacher wie genialer Mechanismus zugrunde, aus dem der Gläubige beziehungsweise der Glaube immer bestärkt hervorgeht.

Das Gebet half: Lobet den Herrn!

Warum? Weil immer, wenn sich das einstellt, wofür gebetet wurde, dies als „Beweis“ angeführt werden kann. Der Schluss: Beten hilft. Gott ist groß. Preiset den Herrn!

Das Gebet half nicht: Lobet den Herrn!

Aber auch, wenn das Erflehte nicht eintritt, wird dies als Beleg für die Existenz Gottes bewertet:

  • Du hast nicht genug daran geglaubt,
  • Gott weiß es besser,
  • er erfüllt die Bitte im Jenseits,
  • er prüft deinen Glauben,
  • er wandelt auf mysteriösen Wegen oder
  • dein profanes und egoistisches Anliegen passt einfach nicht in den göttlichen Plan.

Also auch hier: Gott ist groß. Erbarme dich unser. Preiset den Herrn!

Der Bestätigungsfehler beim Beten

Das Bestechende an diesem Mechanismus ist, dass die einzigen beiden logischen Möglichkeiten (beten hilft vs. beten hilft nicht) in Glaubensgewissheit umgemünzt werden.

Beispielhaft zitiere ich hier, wie der Erweckungssender „ERF“ die Möglichkeiten Gottes bei einem Gebet skizziert:

Gott reagiert auf Gebete glaubender Menschen auf dreierlei Weise:

1. Er kann das geben, worum gebeten wird.

2. Er kann statt des Erbetenen etwas anderes geben, das möglicherweise viel nützlicher und besser ist.

3. Gott kann auch „Nein“ sagen.

Damit sind alle Optionen abgedeckt: Geschieht das Gewünschte, war es Gott, geschieht etwas anderes oder gar nichts, war es auch Gott.

Praktisch, oder?

Hilft beten?
Passt: Nach dieser Logik hilft beten immer

In der Psychologie spricht man hier vom Bestätigungsfehler („Confirmation Bias“): Man wertet die Treffer besonders stark und hat für die Fehlschläge eine Reihe fadenscheiniger und durchsichtiger Begründungen („Gott prüft deinen Glauben“ etc.) parat.

Hilft beten? Gebete und Logik

Dröseln wir’s mal logisch auf. Ein kausaler Zusammenhang wird in der Logik so formuliert, dass aus einer Ursache A die Wirkung B folgt. Aus A folgt also B. 

Wenn aus A aber B und Nicht-B resultieren können, dann ist – ohne nähere Bestimmung – A nicht die kausale Ursache von B. 

Und genau dies ist beim Beten der Fall: Man betet zu Gott (A) und entweder das Erbetene tritt ein (B) oder nicht (Nicht-B). Frei nach der Bauernweisheit: Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich’s Wetter oder’s bleibt, wie es ist.

Damit lässt sich keine kausale Relation mehr zwischen dem Gebet, Gott und den Ereignissen herstellen. Ob das Erbetene eintrifft, wird damit vollständig kontingent und zufällig. Vom Gebet verursacht sein indes kann das Resultat nicht.

Man könnte also genauso gut einen Stein, sich selbst oder den Mond um etwas bitten. Oder eine Milchflasche, wie die Kollegen von “AnswersWithoutQuestions” in diesem findigen Meme aufzeigen. Eine Milchflasche hat in Bezug auf das Gebet und seine Wirkung dieselbe Relevanz wie Gott.

Hilft beten?

Erstaunlicherweise ist dies für Gläubige aber von wenig Bedeutung: Denn die menschliche Bereitschaft, alle möglichen Erklärungen und Ausflüchte zu akzeptieren, warum ein Gebet nicht geholfen hat, scheint grenzenlos zu sein.

Im Zweifel ist der*die Betende selbst schuld, weil sie sich „immer nur an Gott wendet, wenn sie etwas braucht“.

Screenshot eines Forums, in dem die Wirksamkeit von Gebeten diskutiert wird

Damit ist es auch völlig egal, ob sich ein direkter Zusammenhang zwischen Ursache (Gebet) und Wirkung (Gott erhört Gebet) belegen lässt – was übrigens nie der Fall ist.

In der ideologischen Echokammer legt sich der Glaube wie eine bleierne Decke über alle rationalen Argumentationsstränge. Was bleibt ist die Hoffnung, dass Gott die eigenen Gebete eines Tages schon erhören wird – so ähnlich wie beim Lottospielen.

Beantwortet Gott Gebete?

Das „Erhören von Gebeten“ wiederum wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet. 

Wie zum Beispiel: Welcher Gott? Was passiert mit einander widersprechenden Gebeten, zum Beispiel, wenn im Krieg die Angehörigen beider Konfliktparteien für den Sieg beten? Oder die Anhänger von Sportrivalen beim Fußballgott für drei Punkte beten? Oder wenn Anhänger zweier verschiedener Götter für dasselbe beten?

Hilft beten?
Jesus und Ganesha im Gebetsstreit:
Jetzt gibt’s aufs Maul!

Warum werden viele Gebete nicht erhöht – auch wichtige, wenn zum Beispiel ein Missbrauchsopfer dafür betet, dass der Täter endlich von ihm lässt? 

Oder wenn eine verzweifelte Mutter für das Überleben eines kranken Kindes betet und es trotzdem stirbt – will Gott ihr eine Lektion erteilen?

Welche Gründe könnte er haben, das Leben eines unschuldigen Säuglings nicht zu retten?

Will er es nicht retten? Oder kann er es gar nicht retten?

Oder gibt es Gott schlicht nicht?

Letzteres jedenfalls würde am besten zur Verborgenheit Gottes auch in Bezug auf die Anhörung der Betenden passen.

Hilft beten?
Tja, warum hilft beten eigentlich nicht?

Wie kann beten helfen? 

In welchem Sinn kann man dann also überhaupt noch davon sprechen, dass beten hilft?

Hilft beten?

In einem viel einfacheren Sinn: Es wirkt beruhigend auf den menschlichen Geist.

Ich spreche hier mit Absicht nicht von der Seele, womit wir nur das nächste übernatürliche Konstrukt eingeführt hätten, sondern von der Psyche, vom geistigen Befinden. 

Gibt es Statistiken darüber, ob beten hilft?

Ja, es gibt Statistiken, ob beten hilft. Hierzu wurde sogar unter klinischen Bedingungen naturwissenschaftlich in einer ganzen Anzahl von Studien geforscht. Zwei Beispiele.

Die Mantra-II-Studie (The Lancet)

In der Mantra-II-Studie aus dem Jahr 2005 zeigte das renommierte medizinische Fachjournal „The Lancet“ einen Versuch, bei dem 748 Patient*innen mit einer Herzarterienerkrankung unterschiedlichen Begleittherapien ausgesetzt wurden: Musik, Bilder und Berührungen (music, imagery and touch = MIT), Fürbitten/Bittgebete aus der Ferne (distant intercessory prayers = IP) und der normalen Behandlung.

Nach sechs Monaten wurde dann die Sterblichkeitsrate der Patientengruppen untersucht. Ergebnis: Das Beten für andere brachte keinerlei Veränderung. MIT hingegen schon. 

Die STEP-Studie (American Heart Journal)

Zu einem überraschenden Resultat kam 2006 eine Forschungsgruppe in der Study of the Therapeutic Effects of Intercessory Prayer (STEP) mit Bypass-Patienten. Die Patienten wurden in drei Gruppen mit jeweils rund 600 Probanden eingeteilt.

Zudem gab es weitere drei Gruppen mit Betenden, die für die Genesung der Probanden beten sollten. Die Patienten wurden teils informiert, dass für sie gebetet würde und teils, dass für sie vielleicht gebetet würde. Letztere Gruppe war nochmals unterteilt in Patienten, für die tatsächlich gebetet wurde und solche, für die kein Gebet stattfand. 

Das erstaunliche Ergebnis: Die Patienten, die wussten, dass für sie gebetet wurde, hatten (mit 59 Prozent) eine höhere Komplikationsrate als die Vergleichsgruppen (51 bzw. 52 Prozent).

Die Mediziner versuchten dies folgendermaßen zu erklären: Dass ein Gebet „nötig“ war, spricht für eine geringe Genesungschance. Damit sanken auch der Widerstandswille und die körperliche Abwehrkraft der Patienten.

Das Beten hat also bei den „Bebeteten“ nicht nur nicht geholfen. Das Beten hat sogar geschadet.

„Zur großen Überraschung von Gläubigen und Nicht-Gläubigen ist jedoch das Gegenteil von dem herausgekommen, was die Studien-Ärzte erwartet haben: Die Gebete haben mit 14 Prozent einen statistisch signifikanten (!) Schaden angerichtet in der Gruppe, in der die Patienten gewusst haben, dass beim lieben Gott ein gutes Wort für sie eingelegt wird. Verglichen mit der Ausgangshypothese der Forscher erlitten sogar fast doppelt so viele Patienten nach der Bypass-Op Komplikationen. Wo die Patienten sich der Gebete nicht sicher sein konnten, war der Schaden geringer und nicht signifikant. Am besten aber schnitt die Gruppe der Patienten ab, für die nicht gebetet wurde. Das zumindest ist das streng wissenschaftliche Ergebnis von STEP, das im vorvergangenen Monat im ‚American Heart Journal‘ veröffentlicht worden ist.“

Ärzte-Zeitung online

Ist beten also sinnvoll? Ist beten gesund?

Für den Betenden selbst hingegen kann beten helfen, und zwar aus denselben Gründen: Das Gebet hat eine beruhigende Wirkung auf den Patienten. Dies wirkt festigend auf die mentale Verfassung und letztendlich auf das Immunsystem. Placebo-Effekte und der Glaube an Spontanheilungen können dies verstärken.

„Dass Beten und Gottvertrauen, ähnlich wie viele andere Kontemplationsmaßnahmen und Gewissheiten, zu innerer Ruhe führen können, was weniger Stress bedeutet und damit der Heilung zuträglich ist, ist ja eine Binsenweisheit.“

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Was auch zur Beruhigung beiträgt: Die Formulierung der eigenen, innersten Wünsche im Gebet hilft bei der Bewusstmachung dessen, was einem wirklich wichtig ist und fokussiert. Es ist damit einer Meditation nicht unähnlich. Konzentrationsgesten wie die gefalteten Hände etc. können dies bestärken. 

Was bewirkt das Beten?

Beim Beten werden bestimmte Areale des Gehirns aktiv. Und zwar – das legen Untersuchungen an Betenden in einem Computertomographen nahe – sind dies bei Gläubigen andere Areale, als bei Nichtgläubigen.

Dies hat Auswirkungen auf das Bewusstsein und die Gefühlswelt. Ein Gebet bewirkt also durchaus etwas – zumindest bei dem, der betet. Wenn für jemand anders gebetet wird, hat diese Person allerdings nichts davon.

Ob eine gefühlte „Entlastung“ dadurch, dass man „sich Gott in die Hand legt“ wünschenswert ist, wenn es eine Illusion, ein Hirngespinst ist? Oder zählt einfach nur, dass es wirkt?

Das musst du selbst entscheiden. Sollte es dir gerade schlecht gehen oder solltest du in einer Krise stecken: Ich wünsche dir alles Gute, und es ist erst einmal egal, ob du dafür betest oder nicht. Hauptsache, es geht dir bald besser. 

Hier findest du übrigens Hilfe und jemandem zum Reden: Hilfs- und Krisentelefone.

Du schaffst das! Und vielleicht helfen dir ja auch diese Bücher.

Good Vibrations: Die heilende Kraft der Musik
Der Placebo- und Nocebo-Effekt: Illusion, Fakten und die Realität - Wie positive oder negative Gedanken die Gesundheit und unser Leben beeinflussen
Diagnose aussichtslos - Selbstheilung gelungen: Krankheit als Weg gehen, Placebo Effekt nutzen, Selbstheilungskräfte aktivieren

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