Glaubte Einstein an Gott?

Von Gläubigen wird gerne als Argument angeführt, dass Albert Einstein (1897-1955) an Gott glaubte. Der in Ulm geborene Physik-Nobelpreisträger ist nicht nur aufgrund seiner grundlegenden Arbeiten zur Relativitätstheorie weltberühmt – auch außerhalb der Wissenschaft war der Forscher extrem populär.

Einstein und das Judentum

Einstein stammte aus einer jüdischen Familie, kann aber mit einigem Recht als säkularer Jude bezeichnet werden: Er war zwar als Kind religiös, verweigerte aber mit der Bar-Mitzwa die entscheidende Feier für die Religionsmündigkeit im Judentum. Er trat schon als Jugendlicher mit 12 Jahren aus der jüdischen Religionsgemeinschaft aus, weil er unauflösbare Widersprüche in der Bibel fand.

1924 trat er jedoch der jüdischen Gemeinde in Berlin wieder bei. Grund hierfür waren seine Sympathien für den Zionismus – vor dem Hintergrund des ausufernden Antisemismus in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. Genaueres erfahrt ihr in Albrecht Fölsings umfassender Einstein-Biographie.

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Einsteins Zitate über Gott und Religion

Einstein ist Urheber zahlreicher Aphorismen „über Gott und die Welt“. Eines seiner berühmtesten Zitate – „Gott würfelt nicht“ sowie eine Reihe anderer Äußerungen zu Religion und Religionsphilosophie führten dazu, dass sowohl Christen als auch Moslems ihn als geniale Autorität ins Feld führen, die ihre jeweiligen Glaubenssätze scheinbar stützt und dadurch plausibler macht.

Die Vereinnahmung Einsteins durch den Monotheismus

Als Autoritätsargument ist das schon formallogisch wenig überzeugend. Denn: Das Argumentum ad verecundiam, wie der „Beweis für Ehrfurcht“ in der klassischen Logik auch genannt wird, ist nicht zwingend.

Schließlich verbürgt die Autorität einer Person nicht ihre Fehlerfreiheit. Das hindert aber Gläubige nicht daran, Einstein als scheinbaren Fürsprecher monotheistischer Überzeugungen immer wieder anzuführen und für sich zu vereinnahmen.

Einstein, Gott und das „Argumentum ad verecundiam“

Ein Autoritätsargument muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um zugelassen zu werden. Dazu zählen eine korrekte Wiedergabe des Zitats, ohne es aus dem Kontext zu reißen, oder die Fachkompetenz des Zitatgebers in dem zu erörternden Feld.

Nun besaß Einstein sicher nicht weniger Sachkompetenz als andere Menschen, wenn es um Fragen des Glaubens geht: Er war von extrem hoher Intelligenz (sein IQ wird auf bis zu 180 geschätzt), war welterfahren, philosophisch und politisch gebildet, extrem belesen und wortgewandt. Er unterhielt zahlreiche Korrespondenzen mit den größten Denkern und Forschern seiner Zeit. 

Bei der zweiten Voraussetzung, der richtigen Wiedergabe seiner Zitate, muss man allerdings schon etwas genauer hinsehen. Das tun wir jetzt.

Glaubte Einstein an Gott?
Glaubte Einstein an Gott? Es gibt Zweifel.

Glaubte Einstein an Jesus?

Ein Diktum, dass verständlicherweise gerne von Christen häufig zitiert wird, ist Einsteins folgende Einschätzung über Jesus von Nazareth:

„Ich bin ein Jude, aber das strahlende Bild des Nazareners hat einen überwältigenden Eindruck auf mich gemacht. Es hat sich keiner so göttlich ausgedrückt wie er. Es gibt wirklich nur eine Stelle in der Welt, wo wir kein Dunkel sehen. Das ist die Person Christi. In ihm hat sich Gott am deutlichsten vor uns hingestellt.“

Das Zitat stammt aus einem Interview mit dem Publizisten George Sylvester Viereck vom 26. Oktober 1929 in „The Saturday Evening Post“. Einstein antwortete damit (auf Englisch) auf die Frage, ob er die „historische Existenz Jesus“ akzeptiere. Einstein führt im Interview weiter aus:

„Niemand kann die Evangelien lesen, ohne die tatsächliche Gegenwart Jesu zu spüren. Seine Persönlichkeit pulsiert in jedem Wort. Kein Mythos ist von solchem Leben erfüllt. Wie anders ist zum Beispiel der Eindruck, den wir von einem Bericht über legendäre Helden des Altertums wie Theseus erhalten. Theseus und anderen Helden seiner Art fehlt die authentische Vitalität Jesu.“

Einstein sieht Evangelien als Mythos

Sehen wir hier etwas genauer hin. Einstein spricht nicht ab, dass es Jesus wirklich gab, ordnet die Evangelien aber als „Mythos“ ein. Dementsprechend passt es, dass er davon spricht, dass das „strahlende Bild des Nazareners“ einen Eindruck auf ihn gemacht habe. 

Weder impliziert Einstein, dass Jesus der Sohn Gottes war, noch erkennt er einen buchstabengetreuen Wahrheitsgehalt der neutestamentarischen Geschichten an: Diese seien ein Mythos, sprich: von rein literarischer Qualität, wenn auch von hoher literarischer Qualität.

Der Schluss: Einstein glaubte an die Existenz einer historischen Person namens Jesus von Nazareth. Zu seiner Göttlichkeit äußert er sich in dem berühmt gewordenen Interview aber nicht. Im Gegenteil bezeichnet er die Evangelien als Mythos und vergleicht sie mit den Mythen der griechischen Götterwelt.

War Albert Einstein ein Moslem?

Ebenso häufig begegnet ein Zitat Einsteins über den Islam. Am 30. Juli 1952 schrieb er in einem Brief: 

„Wenn ich rechne und sehe so ein winziges Insekt, das auf mein Papier geflogen ist, dann fühle ich etwas wie ‘Allah ist groß’, und wir sind armseliges Tröpfe mit unserer ganzen wissenschaftlichen Herrlichkeit“.

Das Zitat erlangte Berühmtheit, weil Karl Jaspers es in einer Vorlesungsreihe anbringt, die für den Bayerischen Rundfunk verfilmt wurde. Der entsprechende Videoausschnitt ist in einschlägigen muslimischen Webseiten und Foren häufig zu finden. Stets gefolgt von der Einschätzung, hier könne man zweifelsfrei sehen: Einstein glaubte an Allah, Einstein war Moslem.

Das berühmte Jaspers-Zitat zu Einsteins angeblichem Glauben an Allah findet sich in der letzten Minute

Sehen wir auch hier genau hin. Bestätigt Einstein hier, dass er an Allah glaubt? Mitnichten. Einstein gesteht hier nicht den Glauben an Allah ein, sondern spricht davon, was er fühlt, wenn er sich den Zusammenhängen des Universums im Angesicht des Lebens widmet. 

Das ist qualitativ natürlich etwas völlig anderes, als der zu kurz gegriffene Schluss, Einstein glaube an Allah, weil er ihn erwähnt. Oder, Einstein glaube an das muslimische Bekenntnis Allahu akbar (Allah ist groß), weil er dieses als Vergleich im Sinne einer mystischen Welterfahrung („fühle ich so etwas wie“) erwähnt.

Fazit: Der Standpunkt, Einstein sei Moslem gewesen, ist ebenso falsch, wie derjenige, er sei Christ gewesen.

War Einstein Pantheist?

Diese mystische Welterfahrung bringt uns der Sache näher, was Einstein tatsächlich glaubte – und was wir heute davon nachvollziehen können.

Einstein war Anhänger, wenn nicht Neugründer, einer kosmischen Religion – die man allenfalls deistisch verstehen kann und keinesfalls personal verstehen darf. Er bezeichnete sich selbst in einem Brief des Jahres 1954 als „tiefreligiösen Ungläubigen“ und bezog sich mehrfach explizit auf einen berühmten Niederländer.

Einstein und Spinoza

Einstein glaubte an den Gott Spinozas – der Inbegriff des unpersonalen Gottes und des Pantheismus in der westlichen Philosophie.

„Meine Überzeugungen sind denjenigen Spinozas verwandt: Bewunderung für die Schönheit und Glaube an die logische Einfachheit der Ordnung und Harmonie, welche wir demütig und nur unvollkommen fassen können.“

Und:

„Religiosität liegt im verzückten Staunen über die Harmonie der Naturgesetzlichkeit, in der sich eine so überlegene Vernunft offenbart, dass alles Sinnvolle menschlichen Denkens und Anordnens dagegen ein gänzlich nichtiger Abglanz ist… Unzweifelhaft ist dies Gefühl nahe verwandt demjenigen, das die religiös schöpferischen Naturen aller Zeiten erfüllt hat.“

Einsteins Zitate über den Glauben und über Gott müssen also vor diesem Kontext betrachtet werden. Dazu gehört auch das berühmte Diktum „Die Theorie liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten bringt sie uns kaum näher. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass der nicht würfelt“ aus einem Brief an Hedwig und Max Born.

Diese Aussage ist im Kontext einer physikalischen Debatte über die Quantenmechanik und Einsteins Zweifel an ihr zu sehen – nicht als das Eingeständnis eines allmächtigen Schöpfers oder gar eines Intelligent Design, wie dies heute zahlreiche evangelikale Fundamentalisten in den USA insinuieren.

Einstein und die Religion: Das Wechselverhältnis zwischen religiös-weltanschaulichen Gehalten und naturwissenschaftlicher Theoriebildung Albert ... Theology...
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War Einstein Kreationist?

In der Konsequenz verwirft Einstein auch den Glauben an den Kreationismus. Auch dies geht aus einem seiner Briefe eindeutig hervor – er schrieb ihn am 11. April 1950 an Martha Munk.

Diese hatte Einstein gefragt, ob er „es für möglich halte, dass ein moderner Wissenschaftler die Idee der Erschaffung der Welt durch Gott, eine höhere Macht, mit seinem wissenschaftlichen Wissen in Einklang bringen kann“. Einstein verneinte den Glauben an die Schöpfungsgeschichte, wie sie sich mit Jahwe zugetragen haben soll. 

„Ich denke allerdings, dass der im wissenschaftlichen Denken mehr oder weniger geschulte Mensch der religiösen Erschaffung (im ursprünglichen Sinne) des Kosmos fremd gegenübersteht, weil er an alles den Maßstab der kausalen Bedingtheit anlegt. Dies widerlegt die religiöse Einstellung nicht, sondern ersetzt und verdrängt sie in gewissem Sinne.“

Einsteins Brief an Martha Munk vom 11. April 1950
Glaubte Einstein an Gott?
Faksimile des Einstein-Briefes

War Einstein Atheist?

Einstein war kein dogmatischer Atheist oder Anhänger des Neuen Atheismus wie Christopher Hitchens. Wie beschrieben, sah er eine universelle Harmonie in der Welt, die er mit einem mystischen Grundgefühl, einer kosmischen Grundverbundenheit, verband.

Kann man ihn deshalb als Deisten bezeichnen? Wahrscheinlich ja.

Kann man ihn deshalb als Pantheisten bezeichnen? Wahrscheinlich ja.

Kann man ihn als Theisten bezeichnen, als Moslem oder Christen? Mit Sicherheit nicht.

Kann man ihn als Atheisten bezeichnen? Eher nein.

Denn dieses lehnte er ausdrücklich ab. Er sagte: „Ich bin kein Atheist… Das Problem ist für unseren begrenzten Geist zu gewaltig.“

Und weiter (1940):

„Ich habe wiederholt gesagt, dass die Idee eines personengebundenen Gottes meiner Meinung nach eine kindische ist (…) Sie können mich als Agnostiker bezeichnen. Aber ich teile nicht den kämpferischen Geist des Atheismus. (…) Ich bevorzuge eine demütige Haltung entsprechend der Schwäche unserer intellektuellen Erkenntnis der Natur und unseres eigenen Daseins.“

Glaubte Einstein also an Gott?

Auch wenn Einstein sich also eher als Agnostiker denn als Atheist sah, eins ist sicher: Mit den bronzezeitlichen Vorstellungen der abrahamitischen Religionen hatte er nichts am Hut. Er glaubte nicht an einen personalen, monotheistischen Gott. Er hielt ihn sogar für „kindisch“ (Zitat oben).

Nirgendwo wird dies deutlicher, als in einem Brief, den er am 3. Januar 1954 dem deutschen Religionsphilosophen Erich Gutkind schrieb. Dort heißt es: 

„Das Wort Gott ist für mich nichts als Ausdruck und Produkt menschlicher Schwächen, die Bibel eine Sammlung ehrwürdiger, aber doch reichlich primitiver Legenden. Keine noch so feinsinnige Auslegung kann (für mich) etwas daran ändern.“

Und weiter heißt es in dem als „Einsteins atheistischer Gottesbrief“ bekannt gewordenen und im Jahr 2012 für über drei Millionen US-Dollar versteigerten Dokument: 

„Für mich ist die unverfälschte jüdische Religion wie alle anderen Religionen eine Incarnation des primitiven Aberglaubens.“

Und in einem weiteren Brief desselben Jahres schrieb Einstein über den Gottesglauben:

„Es war natürlich eine Lüge, was Sie über meine religiösen Überzeugungen gelesen haben, eine Lüge, die systematisch wiederholt wird. Ich glaube nicht an einen persönlichen Gott und ich habe dies niemals geleugnet, sondern habe es deutlich ausgesprochen. Falls es in mir etwas gibt, das man religiös nennen könnte, so ist es eine unbegrenzte Bewunderung der Struktur der Welt, so weit sie unsere Wissenschaft enthüllen kann.“

Quelle: Albert Einstein: The Human Side. Brief vom 24. März 1954
Glaubte Einstein an Gott?

Deutlicher geht es wohl kaum: Einstein glaubte nicht an den Gott der Bibel, des Tanachs oder des Korans – egal, was Gläubige euch weismachen wollen.


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Glaubte Einstein an Gott? Nope.
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