Heißt Jesus eigentlich Immanuel?

Bibel: Hieß Jesus eigentlich Immanuel?

Heißt Jesus eigentlich Immanuel? Vielen mag das wie eine absolut sinnlose Frage vorkommen. Jesus heißt doch Jesus und nicht anders – und warum gerade Immanuel?

Was heißt eigentlich „Jesus“?

Der Name „Jesus“ ist eine germanisierte bzw. anglisierte Version des lateinischen „Iesus“, das wiederum vom griechischen Namen „Iēsous“ (Ἰησοῦς) abgeleitet ist. Das griechische „Iēsous“ wurde im Neuen Testament verwendet, um den hebräischen/aramäischen Namen „Jeschua“ (ישוע) zu übersetzen, der eine verkürzte Form von „Jehoschua“ (יהושע) ist und „Jahwe ist das Heil“ oder „Jahwe rettet/erlöst“ bedeutet.

Also nochmal:
Jehoschua (hebr.) → Jeschua (hebr.) → Iēsous (gr.) → Iesus (lat.) → Jesus

Der Name „Jeschua“ war zur Zeit Jesu in jüdischen Kreisen weit verbreitet. Er ist das direkte Äquivalent zum englischen Namen „Joshua“. Daher wäre der historisch korrekteste Name für Jesus in seinem eigenen kulturellen und sprachlichen Kontext „Jeschua“.

Im Laufe der Zeit, als sich das Christentum in verschiedene Kulturen verbreitete, wurde der Name „Jeschua“ in verschiedene Sprachen übersetzt und angepasst, was zu den verschiedenen Formen des Namens führte, die wir heute auf der ganzen Welt sehen, wie „Jesús“ auf Spanisch, „Gesù“ auf Italienisch, „Jésus“ auf Französisch und „Jesus“ auf Deutsch und Englisch.

Wie kommt man jetzt von „Jesus“ zu „Immanuel“?

Dass Jesus eigentlich Immanuel heißen sollte, beruht auf einer biblischen Prophezeiung. Diese Prophezeiung wurde in der hebräischen Bibel, dem Tanach überliefert, und zwar im Buche des Propheten Jesaja.

„Tanach“ ist ein anderer Begriff für die hebräische Bibel (die bei Christen das Alte Testament heißt). Dazu gleich mehr. 

Tanach
Der Tanach
Tanach – Lehrbuch der jüdischen Bibel
Lehrbuch zum Tanach

Doch auch im Neuen Testament taucht der Name Immanuel im Zusammenhang mit Jesus auf, und zwar im Evangelium des Matthäus. 

Warum Jesus dann doch nicht Immanuel, sondern eben Jesus genannt wurde, bleibt ein Rätsel – oder lässt sich nur mit einer Kategorienverschiebung wegerklären. Der Reihe nach.

Der Ursprung: biblische Prophezeiungen

Im Judentum befindet man sich in froher Erwartung: Irgendwann soll er ja kommen, der Messias. Zahlreiche Prophezeiungen ranken sich um die Ankunft des Erlösers. 

Hier wird auch gleich das Grundproblem zwischen Judentum und Christentum sichtbar; während ersteres trotz aller Prophezeiungen den Nazarener nicht als Heilsbringer anerkannte, taten die frühen Christen genau das. 

Anschließend wurde seitens christlicher Apologeten und den Autoren des Neuen Testaments versucht, so gut wie möglich zu plausibilisieren, dass Jesus nun auch tatsächlich der vorhergesagte Erlöser sei.

Dazu musste man natürlich auf die bekannten Prophezeiungen Bezug nehmen. Diese konnten ja nicht unerfüllt bleiben, sollte sich der Herrschaftsanspruch und der Messiastitel des Jesus nicht sogleich im Widerspruch zur hebräischen Bibel befinden.

Beispiele für messianische Texte im Tanach

Micha

Micha gehört zu den sogenannten „hinteren Propheten“ des Tanach. Seine Schrift ist Teil des „Zwölfprophetenbuchs“ und zählt zu den ältesten des Alten Testaments. Micha lebte demnach etwa 750–700 v. u. Z. 

Bedeutsam aus Sicht des Christentums ist die Schrift, weil sie die Geburt Jesu in Bethlehem vorhersagt. Moment, das ist falsch! Man muss schon genau hinsehen. Micha sagt die Ankunft des Messias voraus („der in Israel Herr ist“). 

„Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Tausenden [1] in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist.“

Micha 5,1

Jeremia

Jeremia lebte ungefähr ein Jahrhundert später als Micha. Er sagte unter anderem die Zerstörung Jerusalems voraus – diese trat bei der zweiten Eroberung im Jahr 586 v. u. Z. durch die Babylonier unter Nebukadnezar ein. Bei der ersten Eroberung am 16. März 597 v. u. Z. waren zwar Teile der Oberschicht ins babylonische Exil verschleppt, die Stadt aber noch geschont worden. Ein paar Jahre später wurde die Stadt bei ihrer zweiten Eroberung komplett zerstört.

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Seinem Bündnispartner, dem israelitischen Stamm, verspricht Jahwe an der Stelle zudem auch ein gelobtes Land, wie an manch anderer Stelle auch – bis heute Quell territorialer Dispute und Konflikte.

1 Wehe den Hirten, die die Herde meiner Weide umkommen lassen und zerstreuen!, spricht der HERR. 2 Darum, so spricht der HERR, der Gott Israels, über die Hirten, die mein Volk weiden: Ihr habt meine Herde zerstreut und verstoßen und nicht nach ihr gesehen. Siehe, ich will euch heimsuchen um eures bösen Tuns willen, spricht der HERR. 3 Und ich will die Übriggebliebenen meiner Herde sammeln aus allen Ländern, wohin ich sie verstoßen habe, und will sie wiederbringen zu ihren Weideplätzen, dass sie fruchtbar sein sollen und sich mehren. 4 Und ich will Hirten über sie setzen, die sie weiden sollen, dass sie sich nicht mehr fürchten noch erschrecken noch heimgesucht werden, spricht der HERR. 5 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. 6 Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: »Der HERR ist unsere Gerechtigkeit«. 

Jeremia 23:1-6

Also spricht auch Jeremia vom Messias, und zwar als einem „gerechten Spross“ aus dem Haus Davids (Jeremia 23:5-6), der Gerechtigkeit und Recht ins Land bringen wird. Der Erlöser muss also aus jüdischer Sicht zwingend ein Davidit sein – ein Nachkomme König Davids.

War Jesus ein Nachkomme Davids?

Auch diese Prophezeiung muss das Neue Testament natürlich integrieren: Entsprechend gibt sich Matthäus alle Mühe, die Abstammung des Jesus von David möglichst lückenlos nachzuweisen. Im Stammbaum Jesu (Matt.1,1) zählt er daher alle Generationen von David bis Josef und schließlich Jesus genau auf. Ich erspare euch die Litanei von Perez, Serach, Nachschon, Boas, Rehabeam, Joschafat, Schealtiël, Serubbabel und den weiteren, insgesamt 42 Namen hier. Ihr könnt sie bei Matthäus selbst nachlesen.

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Das Wichtigste:

Im Ganzen sind es also von Abraham bis David vierzehn Generationen, von David bis zur Babylonischen Gefangenschaft vierzehn Generationen und von der Babylonischen Gefangenschaft bis zu Christus vierzehn Generationen.

Matthäus 1,17

Hesekiel

Hesekiel kennen die älteren ja noch aus Pulp Fiction und dem leinwandwirksamen Rachespruch aus dem Munde Samuel L. Jacksons.

Der Prophet sagte aber auch andere Dinge voraus, darunter die messianische Berufung des David als „Hirten des Volkes“. 

In der Konsequenz dieser Bibelstelle wird ebenfalls abgeleitet, dass der Messias aus dem Hause Davids abstammen sollte. Die Autoren des neuen Testaments gaben sich später entsprechend alle Mühe, dies nachzuweisen (wie bereits bei Jeremia erwähnt; mit dem Stammbaum Jesu und den „drei mal 14“ Generationen).

Wie schon bei Jeremia ist die Erlöser-Prophetie eingebettet in landwirtschaftliche Allegorien.

„[20] Darum, so spricht Gott der HERR zu ihnen: Siehe, ich will selbst richten zwischen den fetten und den mageren Schafen; [21] weil ihr mit Seite und Schulter drängtet und die Schwachen von euch stießt mit euren Hörnern, bis ihr sie alle hinausgetrieben hattet, [22] will ich meiner Herde helfen, dass sie nicht mehr zum Raub werden soll, und will richten zwischen Schaf und Schaf. [23] Und ich will ihnen einen einzigen Hirten erwecken, der sie weiden soll, nämlich meinen Knecht David. Der wird sie weiden und soll ihr Hirte sein, [24] und ich, der HERR, will ihr Gott sein. Und mein Knecht David soll der Fürst unter ihnen sein; das sage ich, der HERR. [25] Und ich will einen Bund des Friedens mit ihnen schließen und alle bösen Tiere aus dem Lande ausrotten, dass sie sicher in der Steppe wohnen und in den Wäldern schlafen können.“

Hesekiel 34:20-25

Matthäus 1,23: „… und sie werden ihm den Namen Immanuel geben“

Wenden wir uns jetzt genauer der Bibelstelle zu, nach der Jesus eigentlich Immanuel heißen sollte. Sie steht bei Matthäus.

„[18] Über die Geburt Jesu Mit der Geburt Jesu Christi war es so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt; noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte sich, dass sie ein Kind erwartete – durch das Wirken des Heiligen Geistes. [19] Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloss, sich in aller Stille von ihr zu trennen. [20] Während er noch darüber nachdachte, siehe, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. [21] Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen. [22] Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: [23] Siehe: Die Jungfrau wird empfangen / und einen Sohn gebären / und sie werden ihm den Namen Immanuel geben, / das heißt übersetzt: Gott mit uns. [24] Als Josef erwachte, tat er, was der Engel des Herrn ihm befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. [25] Er erkannte sie aber nicht, bis sie ihren Sohn gebar. Und er gab ihm den Namen Jesus.

Matthäus 1,18-25

Sehen wir nochmal genau hin. Matthäus nimmt hier sogar wörtlich Bezug auf die Prophezeiung des Jesaja, auch wenn dieser nicht namentlich genannt wird. Es ist nur vom „Propheten“ die Rede.

Immanuel: die Übersetzung

Nach Matthäus wird eine Jungfrau den Messias gebären und „sie werden ihm den Namen Immanuel geben“. Das scheint hinreichend präzise vorhergesagt, wenn man denn so will. Weiter wird noch erwähnt, dass die Übersetzung davon „Gott mit uns“ ist. 

Wieso muss man Immanuel überhaupt übersetzen? Ganz einfach, weil Immanuel ein hebräischer Name ist (עִמָּנוּ אֵל „Gott (ist/sei) mit uns“). Während also das Alte Testament auf Hebräisch (zu teilen auch Aramäisch) vorliegt, wurde das Neue Testament hingegen auf Griechisch verfasst.

Hieß Jesus Immanuel?
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Ist Jesus Immanuel? Die Auflösung

Matthäus 1,23 ist die einzige Stelle, an der Jesus mit Immanuel in Verbindung gebracht wird. Matthäus 28,20 wird manchmal in diesem Sinn ausgelegt, da Jesus hier aussagt, „Und siehe, ich bin mit euch …“. 

Dies trifft den hebräischen Bedeutungsgehalt des Namens, wenn man davon ausgeht, dass Jesus auch Gott ist.

Lies hierzu auch:

Allerdings gibt es hier doch einen recht eindeutigen Widerspruch: Von den beiden dürren Bibelstellen bei Matthäus abgesehen, nannte Jesus sich nie Immanuel und niemand anders nannte Jesus je Immanuel.

Es wird sinngemäß einfach gesagt: Der Messias heißt Immanuel und Josef nannte „sein“ Kind Jesus. Das scheint nicht zusammenzupassen, wird aber nirgendwo weiter erläutert. Wir kennen derlei Widersprüche aus der Bibel ja reichlich.

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Im Nachhinein weisen Bibel-Exegeten gerne darauf hin, dass mit dem Namen Immanuel kein Eigenname/Personenname gemeint gewesen ist, sondern ein prophetischer Name, „mit denen Gott eine Botschaft an sein Volk richtet“. Das wiederum wird als Zeichen dafür interpretiert, dass Gott „in Jesus mit uns“ ist.

Und das wiederum ist „begging the Question“ – ein auch als „Petitio Principii“ bekannter Zirkelbeweis. Demnach ist Jesus also Gott, weil der Name, den er offenbar gar nicht wirklich trägt, und der ebenso offenbar ihm im Nachhinein zugeschrieben wurde, um eine Übereinstimmung mit den alttestamentarischen Verheißungen herzustellen, bedeutet, dass Gott mit uns ist. 

Die Aussagen rund um die Namen Jesus und Immanuel werden also durch eine Behauptung begründet, die die zu beweisende Behauptung schon als wahr voraussetzt.

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Kommentare

Eine Antwort zu „Bibel: Hieß Jesus eigentlich Immanuel?”.

  1. Ich wünsche Ihnen das Allerbeste
    Jesus ist mir kein persönliches Ereignis

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