Was ist das Alevitentum?

Alevitentum

Das Alevitentum ist die religiöse und kulturelle Tradition, die von der alevitischen Gemeinschaft praktiziert wird. Aleviten sind eine heterogene Gruppe, die hauptsächlich in der Türkei, aber auch in anderen Ländern wie dem Iran, Syrien und dem Irak ansässig ist.

Das Alevitentum hat seine Wurzeln im Islam, weist jedoch einige Unterschiede zur orthodoxen Sunniten und Schiiten auf. Aleviten betonen die spirituelle Dimension des Glaubens und haben eine eigene Interpretation des Islams entwickelt, die stark von sufistischen Traditionen beeinflusst ist.

Einige zentrale Merkmale des Alevitentums sind:

1. Gleichstellung der Geschlechter: Aleviten betonen die Gleichwertigkeit von Frauen und Männern und lehnen jegliche Form von Diskriminierung ab.

2. Verehrung von Ali und den Zwölf Imamen: Aleviten haben eine besondere Verehrung für Ali, den Schwiegersohn und Cousin des Propheten Mohammed, und die Zwölf Imame, die im schiitischen Islam eine wichtige Rolle spielen.

3. Bedeutung von Musik und Poesie: Musik, Gesang und Poesie spielen eine zentrale Rolle in alevitischen Ritualen und Versammlungen. Durch Musik und Poesie drücken Aleviten ihre spirituelle Erfahrung und Hingabe aus.

4. Gemeinschaftliche Versammlungen (Cem): Aleviten versammeln sich regelmäßig in sogenannten Cem-Häusern, um gemeinsam zu beten, zu singen und zu meditieren. Diese Versammlungen dienen auch als soziale Treffpunkte, um Gemeinschaft und Solidarität zu stärken.

Es ist wichtig zu beachten, dass das Alevitentum eine vielfältige Tradition ist und innerhalb der alevitischen Gemeinschaft Unterschiede bestehen können. Die genaue Praxis und Interpretation können je nach geografischer Lage, kulturellem Hintergrund und individuellen Überzeugungen variieren.

Woran glauben Aleviten?

Aleviten glauben an einen einzigen Gott (Monotheismus) und bekennen sich zum Islam. Ihr Glaube beinhaltet jedoch eine einzigartige Interpretation und Praxis des Islam, die sich von den vorherrschenden sunnitischen und schiitischen Traditionen unterscheidet. Im Alevitentum stehen spirituelle Erfahrungen, individuelle Reflexion und die Suche nach innerer Erkenntnis im Vordergrund.

Die zentralen Glaubensprinzipien der Aleviten umfassen:

1. Tawhid: Die Einheit Gottes. Aleviten glauben an die Existenz eines einzigen Gottes, der allgegenwärtig ist und keine Partner oder Nachkommen hat.

2. Wilayah: Die Nachfolge und spirituelle Führung durch Ali und die Zwölf Imame. Aleviten betrachten Ali (ʿAlī ibn Abī Tālib), den Schwiegersohn und Cousin des Propheten Mohammed, sowie die Zwölf Imame als geistige Führer und spirituelle Autoritäten.

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3. Das Konzept der “Hakk-Muhammed-Ali”: Aleviten glauben, dass das Göttliche in jeder Seele existiert. Diese Trinität, bestehend aus “Hakk” (Gott), “Muhammed” (der Prophet) und “Ali” (der Führer), wird als zentrales spirituelles Konzept angesehen.

4. Liebe und Toleranz: Aleviten betonen die Bedeutung von Liebe, Mitgefühl, Gerechtigkeit und Toleranz gegenüber allen Menschen, unabhängig von ihrer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit.

5. Bedeutung der Innerlichkeit: Aleviten glauben an die persönliche Verbindung mit Gott durch innere Reflexion, Meditation und spirituelle Praxis. Sie legen Wert auf die Entwicklung von Mitgefühl, Toleranz und Liebe im eigenen Inneren.

Es ist wichtig anzumerken, dass Aleviten eine diverse Gemeinschaft sind und individuelle Glaubensauslegungen variieren können. Die oben genannten Prinzipien repräsentieren allgemeine Merkmale des Alevitentums, aber es kann Unterschiede in der theologischen Auslegung und Praxis geben.

Was grenzt das Alevitentum vom Islam ab?

Das Alevitentum ist eine Interpretation und Praxis des Islam, die sich von den vorherrschenden sunnitischen und schiitischen Traditionen (zum Beispiel die fünf Säulen des Islam) unterscheidet. Einige Punkte, die das Alevitentum vom orthodoxen Islam klar abgrenzen:

1. Glaubensvorstellungen: Aleviten haben eine einzigartige Interpretation der islamischen Lehren. Sie betonen die spirituelle Dimension des Glaubens und haben ihre eigenen Vorstellungen von Gotteserkenntnis, der Rolle von Ali und den Zwölf Imamen sowie der Natur des Göttlichen.

2. Religiöse Praxis: Die alevitische religiöse Praxis unterscheidet sich von der sunnitischen und schiitischen Praxis. Aleviten betonen die Bedeutung von Musik, Poesie und gemeinsamen Versammlungen (Cem). Diese Versammlungen dienen als rituelle Praxis, bei der Gebet, Gesang, Meditation und spirituelle Reflexion stattfinden.

3. Hierarchie und Autorität: Im Alevitentum gibt es keine formale Hierarchie von Geistlichen oder religiösen Führern wie im sunnitischen oder schiitischen Islam. Stattdessen wird die spirituelle Führung oft von sogenannten Dede-Baba (spirituellen Ältesten) übernommen, die aufgrund ihrer Erfahrung und spirituellen Reife respektiert werden.

4. Gleichstellung der Geschlechter: Aleviten betonen die Gleichwertigkeit von Frauen und Männern in religiösen, sozialen und kulturellen Belangen. Dies steht im Gegensatz zu einigen traditionellen Interpretationen des Islam, die eine unterschiedliche Rolle und Behandlung von Frauen vorsehen.

Wie steht das Alevitentum zum Islam? Diese Bücher erläutern den Zusammenhang weiter.

Wann wurde das Alevitentum gegründet?

Das Alevitentum als religiöse und kulturelle Tradition lässt sich nicht auf ein bestimmtes Gründungsdatum zurückführen, da es sich im Laufe der Zeit entwickelt hat. Die Wurzeln des Alevitentums gehen jedoch auf die frühe islamische Geschichte zurück. Vorrangig verbreitete sich das Alevitentum im 13./14. Jahrhundert unter den zugewanderten oghusisch-turkmenischen Stämmen in Anatolien und Aserbaidschan.

Das Alevitentum basiert auf dem Erbe von Ali, dem Schwiegersohn und Cousin des Propheten Mohammed, sowie den Zwölf Imamen, die im schiitischen Islam eine wichtige Rolle spielen. Nach dem Tod des Propheten Mohammed entstand eine Spaltung innerhalb der islamischen Gemeinschaft über die Nachfolgefrage. Aleviten betrachten Ali und seine Nachkommen als rechtmäßige spirituelle und politische Führer der muslimischen Gemeinschaft. Diese spirituelle Linie betont das Alevitentum betont und sieht sie als Quelle der Führung und des Wissens.

Im Laufe der Jahrhunderte hat das Alevitentum verschiedene Einflüsse aufgenommen, darunter auch Sufismus und andere regionale Bräuche und Traditionen. Das Alevitentum hat sich zu einer eigenständigen religiösen Tradition entwickelt. Praktizierende Aleviten und Alevitinnen gibt es vor allem in der Türkei. Aber auch in anderen Ländern sind alevitische Gemeinschaften aktiv.

Wichtig anzumerken: Das Alevitentum hat keine einheitliche Organisation oder zentrale Autorität. Es gibt verschiedene alevitische Gemeinschaften und Gruppen mit unterschiedlichen Auslegungen und Praktiken. Daher ist es schwierig, das Alevitentum auf ein spezifisches Gründungsdatum oder eine einzelne Gründerfigur festzulegen. Stattdessen entwickelte es sich organisch über einen längeren Zeitraum.

Wo leben die meisten Aleviten?

Die größte Anzahl von Aleviten lebt in der Türkei. Schätzungsweise machen Aleviten dort etwa 10-20 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, was bedeutet, dass es Millionen von Aleviten in der Türkei gibt.

Die meisten alevitischen Gemeinschaften in der Türkei sind in den Regionen Anatolien, insbesondere in Zentralanatolien und Ostanatolien, sowie in größeren Städten wie Istanbul, Ankara und Izmir zu finden.

Darüber hinaus gibt es auch alevitische Gemeinschaften außerhalb der Türkei, insbesondere in Ländern mit türkischer Diaspora. Beispielsweise Deutschland beherbergt eine bedeutende Anzahl von Aleviten, da viele türkischstämmige Menschen mit alevitischem Hintergrund dort leben. Darüber hinaus umfassen Länder mit alevitischen Gemeinschaften die Niederlande, Österreich, Schweden, Frankreich, Großbritannien und die Schweiz.

Aleviten sind auch in anderen Ländern wie dem Iran, Syrien und dem Irak ansässig, jedoch in geringerer Zahl im Vergleich zur Türkei und der türkischen Diaspora. Weil es keine offiziellen Statistiken gibt und die Zahlen je nach Quelle variieren, ist die genaue Anzahl der Aleviten in verschiedenen Ländern schwer zu bestimmen.

Welche Regeln hat das Alevitentum?

Das Alevitentum hat keine festgelegten und einheitlichen Regeln wie beispielsweise im sunnitischen oder schiitischen Islam. Stattdessen gibt es bestimmte Prinzipien, Werte und Praktiken, die die Aleviten beachten. Die individuelle Auslegung kann natürlich etwas variieren. Hier sind einige Merkmale des alevitischen Glaubens, die als eine Art “Leitfaden” angesehen werden können:

1. Liebe und Toleranz: Aleviten betonen die Bedeutung von Liebe, Mitgefühl, Gerechtigkeit und Toleranz gegenüber allen Menschen, unabhängig von ihrer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit. Sie streben nach harmonischem Zusammenleben und fördern den interreligiösen Dialog.

2. Gemeinschaftliche Versammlungen (Cem): Aleviten versammeln sich regelmäßig in sogenannten Cem-Häusern, um gemeinsam zu beten, zu singen und zu meditieren. Diese Versammlungen dienen als Ort des gemeinschaftlichen Austauschs, der spirituellen Praxis und der Stärkung des Zusammenhalts.

3. Gleichstellung der Geschlechter: Aleviten betonen die Gleichwertigkeit von Frauen und Männern und lehnen jegliche Form von Diskriminierung ab. Frauen spielen eine wichtige Rolle in der alevitischen Gemeinschaft und haben Zugang zu religiösen Praktiken und Ritualen.

4. Musik und Poesie: Musik, Gesang und Poesie spielen eine zentrale Rolle in alevitischen Ritualen und Versammlungen. Durch Musik und Poesie drücken Aleviten ihre spirituelle Erfahrung und Hingabe aus.

5. Ethik und Moral: Aleviten legen Wert auf ethisches Verhalten, wie Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft, Großzügigkeit und Respekt vor anderen. Sie streben nach einem bewussten und verantwortungsvollen Leben.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Praxis und Auslegung des Alevitentums innerhalb der alevitischen Gemeinschaft variieren kann. Anders gesagt: Es gibt keine allgemeingültigen Regeln, die von allen Aleviten gleichermaßen befolgt werden. Die individuelle Interpretation und Umsetzung der alevitischen Prinzipien kann von Person zu Person unterschiedlich sein.

Was bedeutet Cem im Alevitentum?

Im Alevitentum ist der Begriff “Cem” von großer Bedeutung. Cem bezieht sich auf eine rituelle Versammlung oder Zeremonie, die in alevitischen Gemeinschaften stattfindet. Es ist ein zentraler Aspekt der alevitischen religiösen Praxis und dient als Ort des Gebets, der Meditation, des Gesangs und des gemeinschaftlichen Austauschs.

Während eines Cem kommen Aleviten in einer speziellen Versammlungshalle, oft einem Cem-Haus, zusammen. Dort bilden die Teilnehmer einen Kreis, der als “Semahane” bezeichnet wird. Ein erfahrener Dede (spiritueller Führer) leitet die Zeremonie.

Ein Cem-Haus

Während des Cem werden religiöse Texte rezitiert, Gebete gesprochen und heilige Schriften wie das “Buyruk” vorgelesen. Außerdem singen die Teilnehmer auch gemeinsam religiöse Lieder, die als “Deyişler” oder “Nefesler” bekannt sind. Die Musik wird oft von Instrumenten wie der “Saz” begleitet.

Ein charakteristisches Merkmal des Cem im Alevitentum ist der “Semah”-Tanz. Die Teilnehmer bilden einen Kreis und drehen sich rhythmisch im Uhrzeigersinn. Dieser Tanz symbolisiert die spirituelle Suche und das Streben nach göttlicher Erkenntnis.

Der Cem dient als Ort der Gemeinschaft, des spirituellen Austauschs und der Hingabe. Er bietet den Aleviten die Möglichkeit, ihre religiöse Identität zu stärken, die Liebe und den Respekt für andere zu kultivieren und sich in der Gemeinschaft zu verbinden. Es ist wichtig anzumerken, dass der Cem nicht nur religiöse Bedeutung hat, sondern auch als soziales und kulturelles Ereignis fungiert, das den Zusammenhalt der alevitischen Gemeinschaft fördert.

Heilige Schriften der Aleviten

Die alevitische Tradition bezieht sich auf verschiedene heilige Texte, die von Aleviten verehrt und als Quellen der spirituellen Führung betrachtet werden. Hier sind einige der wichtigen heiligen Texte der Aleviten:

  1. “Buyruk”: Der Buyruk ist ein zentraler Text im Alevitentum. Er enthält Lehren, Anweisungen und ethische Prinzipien, die von alevitischen Meistern und spirituellen Führern überliefert wurden. Der Buyruk enthält auch Gebete, Ratschläge und Gedichte, die von verschiedenen Dichtern und Gelehrten verfasst wurden.
  2. “Cem Evradı”: Dieses Werk besteht aus einer Sammlung von Gebeten und Lobpreisungen, die während des Cem-Gottesdienstes rezitiert werden. Es enthält auch Anleitungen für bestimmte Rituale und Abläufe, die im Rahmen des Cem befolgt werden.
  3. “Dede Korkut”: Dieses Epos ist Teil der mündlichen Überlieferung der Turkvölker und hat auch eine Bedeutung im alevitischen Kontext. Es enthält Geschichten, Lieder und Weisheiten, die moralische und ethische Lehren vermitteln.
  4. Gedichte und Lieder (Deyişler/Nefesler): Alevitische Dichter und Dichterinnen haben im Laufe der Zeit zahlreiche Gedichte und Lieder verfasst, die als “Deyişler” oder “Nefesler” bezeichnet werden. Diese Texte drücken spirituelle Erfahrungen, Glaubensüberzeugungen und soziale Botschaften aus und werden während des Cem und anderen alevitischen Zusammenkünften rezitiert oder gesungen.

Leider liegen nicht alle Texte in deutscher Übersetzung vor; der Großteil ist auf Türkisch oder Arabisch. Das Dede Korkut und der Buyruk allerdings wurden übersetzt.

Dede Korkut und Buyruk auf Deutsch:
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Die alevitische Tradition betont die mündliche Überlieferung: Dementsprechend spielt die mündliche Weitergabe von Wissen und Weisheit eine bedeutende Rolle. Neben den schriftlichen Texten spielen daher auch die mündliche Überlieferung, Geschichten und Erzählungen eine wichtige Rolle in der alevitischen Gemeinschaft.

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