“Gibt es Gott wirklich?” Diese Frage stellt mein kleiner Sohn mir regelmäßig. Und meine Antwort ist immer die gleiche: höchstwahrscheinlich nicht.
Welchen Gott gibt es?
Eine bekannte und von Atheisten gerne genutzte Strategie beruht auf einer Gegenfrage. Fragt jemand “Gibt es Gott?” oder “Glaubst du an Gott?” hält man schlicht dagegen: “Welchen denn?”
Denn es gibt ja so viele: Zeus, Tor, Jehovah, Allah, Shiva, Poseidon, Wotan, Ganesha, Jesus, Baal, Dana, Indra, Janus, Neptun, Quetzalcoatl, Venus, Vishnu oder Kali. Oder gar die Göttin der Zwietracht, Iris? Oder doch das fliegende Spaghettimonster?

Gibt es “Jahwe”?
Die Fragesteller gehen hierzulande meist vom “aktuellen” monotheistischen Gott der christlichen Mehrheit aus: Jahwe. Jahwe ist eigentlich der Gott der Israeliten aus der Bronzezeit, ursprünglich also der jüdische Gott. Ob Jahwe mit dem muslimischen Gott “Allah” identisch ist, ist nicht hinreichend geklärt. Einige glauben dies, andere nicht. Genaues weiß man nicht.
Allerdings etabliert sich immer mehr die Ansicht, dass Jahwe zunächst ein “normaler” Gott in einem polytheistischen Götterkosmos war, bevor er zum Hauptgott der Hebräer wurde.
Zurück zu Jahwe als monotheistischer Alleinherrscher: Seine Wirkmächtigkeit speist sich aus dem “alten Bund”, den der “Allmächtige” mit dem Volk von Abraham einging. Christen glauben daran, dass dieser “Bund” durch die Geburt, den Tod und die Auferstehung von Jesus (inklusive Himmelfahrt) erneuert wurde.
Gibt es Gott Gott als Schöpfer?
Die Bibel, insbesondere das Alte Testament, schwärmt von Jahwe als dem Schöpfer der Erde und des Weltalls. Allerdings gibt es in der Schöpfungsgeschichte der Bibel hausgroße logische Löcher.
Außerdem scheint der Schöpfungsplan auch nicht gerade perfekt: Evolutionsbiologen haben gezeigt, dass über 99 Prozent aller jemals existierenden Arten ausgestorben sind. Evolutionär gesehen muss Gott eine Menge Irrwege beschritten haben, als er das Weltgefüge ordnete. Faunenschnitte, Klimakatastrophen, groteske Mutationen und evolutionäre Irrwege zeugen davon, dass der göttliche “Plan” entweder von einem Stümper oder einem Psychopathen erdacht sein worden muss.
Gibt es Gott als “erste Ursache”?
Aber woher kommt denn dann alles? Wer hat dies alles erschaffen? Die Antwort ist: Wir wissen es nicht. Und vielleicht können wir es auch gar nicht wissen.
Vielleicht ist es gar nicht möglich, die Frage nach dem letzten Grund zu beantworten, auch wenn wir uns als menschliche Wesen nach einer Art metaphysischer Sicherheit sehnen.
Diesen Standpunkt vertritt zumindest der deutsche Philosoph Hans Albert. Er formulierte ein philosophisches Problem, das als Münchhausen-Trilemma bekannt wurde.
Weitere Bücher von Hans Albert
Das Trilemma besagt, dass jede Suche nach einem letzten Grund zu einem von drei Ergebnissen führt.
Erstens: Zirkelschluss. Ein Zirkelschluss ist ein Beweisfehler, bei dem das zu Beweisende in den Voraussetzungen bereits erhalten ist. Ein klassisches Beispiel aus der Religion ist die Aussage, dass die Bibel Gottes Wort enthalte, weil es in der Bibel steht, dass alle Schrift von Gott eingegeben sei. Die Bibel autorisiert sich somit sozusagen selbst.

Zweitens: infiniter Regress. Ein infiniter Regress ist eine endlose Kette von Rekursionen. Diese lässt sich immer weiter denken: Wenn zum Beispiel Gott alles geschaffen haben soll, stellt sich die Frage, wer Gott geschaffen hat.
Drittens: Abbruch des Verfahrens. Anstelle einer echten Erklärung tritt nun ein Dogma. Dogmen sind unumstößliche Lehrsätze, die nicht weiter zu hinterfragen sind, wie beispielsweise die Unfehlbarkeit des Papstes.
Gibt es Gott als Ursprung der Moral?
Ja, aber wenn es Gott nicht gibt, dann gibt ja auch keine Moral, oder? Dann könnte ja jeder machen, was er will?
Nun, auch der sogenannte “liebe Gott” Jahwe hat so seine Schattenseiten und den ein oder anderen schlechten Tag. Er ist jähzornig, rachsüchtig und lässt sich gelegentlich zum Völkermord ebenso hinreißen wie zum Befehl der gewaltsamen Landnahme und Eroberung fremder Länder. Gegen Sklaverei hat er im Grunde auch nichts.
Bei der Sintflut bringt er kurzerhand fast die gesamte Menschheit und einen Großteil der Tierwelt um, weil die Menschen sich seiner Meinung nach nicht genügend an Regeln und Moralvorstellungen halten. Nicht gerade eine Sternstunde göttlichen moralischen Wirkens.

Die Mehrheit glaubt doch, dass es Gott gibt …
Mein sechsjähriger Sohn findet das allerdings nicht so schlimm. Ab und zu hat man halt einen schlechten Tag.
Hingegen findet das Kind es sehr bemerkenswert, dass so viele Leute an Gott glauben. Also muss da ja etwas dran sein. Die können sich ja nicht alle irren, oder?
Doch, können sie. Und genau das ist der springende Punkt. Denn: Der Glaube an Gott vererbt sich. Seine Legitimität speist sich daraus, dass er den Kindern sprichwörtlich in die Wiege gelegt wird.
Wachsen die Kinder im Rahmen religiöser Überzeugung auf, finden sie den Glauben an Gott nur natürlich. Schließlich wird dieser ihnen ja auch von allen Erwachsenen um sie herum vorgelebt.
Skepsis und Gottesglaube
Leider hat diese tradierte Überzeugung allerdings kaum etwas mit der Frage zu tun, ob es Gott wirklich gibt. Die Überzeugung an die Existenz eines Gottes wird vom Kind als gesetzt akzeptiert.
Das liegt in der Natur der Sache: Wieviel Skepsis muss in einem kindlichen Gemüt erst entstehen, um die grundlegenden Überzeugungen seiner wichtigsten Bezugspersonen zu hinterfragen? Das kann kein Kind leisten und es sollte es auch nicht leisten müssen.
Glauben ohne Grund
Zumal dem Kind ja noch Angst gemacht wird: Denn die christliche Lehre verlangt, auch ohne Beweis, ja gerade ohne Beweis und mehr oder weniger blind, an die Existenz von Jahwe zu glauben. Andernfalls drohen haarsträubende Konsequenzen: Man landet nämlich als Sünder und Häretiker unweigerlich in der Hölle, jedenfalls nach katholischer Überzeugung. Dort kümmert sich der Teufel mit seinen Schergen darum, den Verstorbenen auf phantasievolle Weise unendliches Leid hinzuzufügen.

Es ist verständlich, dass sich bei Kindern dieses traumatische Bild, die Angst um das eigene Seelenheil sowie die Erwartung der gläubigen Erwachsenen in der Familie dann zu einer Akzeptanz des Gottesbildes amalgamieren.
Wenngleich dies psychologisch verständlich ist, hilft es allerdings kaum bei der Frage, bei der Klärung der Frage, ob es Gott denn nun tatsächlich gibt oder nicht.
Wenn der Zweifel beginnt …
Allerdings werden die meisten Kinder auch irgendwann erwachsen. Und mit dem Älterwerden setzt auch die Emanzipation von den eigenen Eltern ein. Das kann auch religiöse Überzeugungen mit einschließen.
Mein Sohn zum Beispiel zweifelt daran, dass es die Zahnfee gibt, weil er hinter ihrem Wirken mittlerweile nicht ganz zu Unrecht seine eigenen Eltern vermutet. An den Weihnachtsmann hingegen glaubt er felsenfest. Diesen hat er nämlich mit eigenen Augen gesehen. (Dass es sich um einen verkleideten Nachbarn handelte, spielt dabei keine Rolle.)
Hat man die ersten Schritte zur Skepsis gemacht, ergeben sich die weiteren meist wie von selbst. Denn wenn der Schleier der eigenen Sozialisation abgelegt wurde und die Glaubenssätze der Eltern und Verwandten erstmals ernsthaft hinterfragt werden, bleibt außer Kontingenz meist nicht viel übrig. Ein wichtiges Argument in diesem Zusammenhang ist die Theodizee.
Theodizee
Die Theodizee ist eine philosophische Frage, die sich der Rechtfertigung Gottes widmet.
Im Christentum wird Gott nämlich häufig zugeschrieben, er sei allmächtig, allgütig und allwissend.
Angesichts des fast unendlichen Leids auf der Welt ist nun die Frage durchaus legitim, warum ein allmächtiger und allgütiger Gott nichts gegen dieses Leid, gegen das Böse, den Hunger, den Krieg, die Gewalt, das Sterben, den Tod unternimmt. Kann er nichts dagegen unternehmen, dann ist er nicht allmächtig. Will er nichts dagegen unternehmen, dann ist er nicht allgütig.
Wenn es Gott gibt, ist dies eine ernste Angelegenheit. Andersrum kann das Leid als religionskritisches Argument umgedreht werden: Weil Leid existiert, kann es keinen Gott geben.
Aus der Theodizee gibt es keinen wirklichen und widerspruchsfreien Ausweg. Logische Klimmzüge zur Verteidigung christlicher Positionen wirken in diesem Zusammenhang wenig überzeugend. So sei das Leid für den Menschen als existentielle Erfahrung wichtig, hinter dem aus menschlicher Sicht unverständlichen Übel stecke ein tieferer und für den Menschen unerkennbarer Sinn etc.
Und so kommt es, dass die Zahl der Gläubigen in Deutschland und vielen anderen Ländern der westlichen Welt seit Jahren rückläufig ist. Die Mehrheit glaubt mittlerweile nicht mehr, dass es Gott gibt. Die größte Gruppe religiöse Überzeugung ist heute in Deutschland die Gruppe ohne religiöse Überzeugung.
Warten auf den Gottesbeweis
Stellen wir die Beweislast doch einmal vom Kopf auf die Füße: Wenn Menschen überzeugt sind, dass es Gott gibt, sollten Sie doch einigermaßen schlüssige Argumente oder im besten Fall sogar Beweise vorlegen können.
Und tatsächlich gibt es eine ganze Reihe philosophischer Konzepte, die die Existenz Gottes beweisen möchten. Dazu gehören der ontologische Gottesbeweis, der kosmologische Gottesbeweis sowie der teleologische Gottesbeweis.
Ein allgemein anerkannter, gültiger Gottesbeweis steht allerdings noch aus. Das gilt einerseits für die Logik, andererseits aber auch für die konkrete Anschauung: Denn Seltsamerweise wird Gott mittlerweile immer nur dann direkt beobachtet, wenn es keine Zeugen, Kameras oder Wissenschaftler in der Nähe gibt.
Seine Wirkmächtigkeit heute scheint sich auf das Einbrennen von Jesus-Silhouetten auf Toastscheiben sowie die Gewährung gelungener Spielzüge von Fußballern zu beschränken.
Mein Sohn sagt dazu: “Wenn ich Gott mal sehe, dann mach ich ein Foto von ihm und dann gehe ich damit zur Regierung, weil dann habe ich ja einen Beweis. Und dann werden sie sagen: ‘Krassomat!'”
In der Zwischenzeit ist es total in Ordnung, wenn er nicht genau weiß, ob es Gott gibt oder nicht.
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