Tischgebet

diverse people praying on thanksgiving

In vielen Religionen gehört das Tischgebet zu den gängigsten Ritualen. Es dient zur Segnung der Speisen sowie als Danksagung an die jeweilige Gottheit.

Das Tischgebet steht in einem engen Zusammenhang weiterer religiöser Handlungen, die sich auf die Nahrungsaufnahme beziehen, zum Beispiel Speisevorschriften, Tabus, Lebensmittelspenden oder auch Gastfreundschaft.

Das Tischgebet: Ritual aller Weltreligionen

Sprachtheoretisch gesehen handelt es sich bei Tischgebeten um den im Alltag eher seltenen “performativen Sprechakt” (nach John Austin). Es “geschieht” also sprachphilosophisch gesehen außer dem Sprechen nichts. Aussagen wie “ich segne diese Speise” oder “ich danke dir für das Brot” referenzieren im Grunde auf sich selbst als Sprechhandlung.

Klassiker der linguistischen Pragmatik: John Austins Vorlesung
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Aus dieser Selbstreferenzierung speist sich eine seltsame, mythische Wirkung des Gebets. Es liegt nahe, dass das Essen und Trinken als unumgängliche Notwendigkeit des menschlichen Alltags durch Religionen stark ritualisiert werden kann – und aus Sicht religiöser Akteure mittels Tischegebet auch ritualisiert werden soll.

Entsprechend gibt es Dankgebete anlässlich von Speisen und Mahlzeiten in allen monotheistischen Religionen.

Tischgebet mit Kindern

Tischgebete sind eine wirksame Methode, um schon bei Kindern religiöse Rituale zu normalisieren; inwiefern dies wünschenswert oder moralisch vertretbar ist, sei dahingestellt. Jedenfalls existiert eine prosperierende Industrie, die Glaubensinhalte an Kinder vermitteln möchte. Auch das Tischgebet. Hier einige Beispiele.

Tischgebete:
“Danke, Gott,
auch fürs Kompott”
“Himmlische Tischgebete”
Tischgebete:
“Wir sagen Dank”

Zusätzlich sind Tischgebete beim gemeinsamen Essen mit Konfessionslosen oder anderen armen Heidenkindern ein erster Berührungspunkt mit dem Glauben, auch wenn es dann noch der Glaube der Anderen ist.

Vom “Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb” bis zum “Komm, Herr Jesus, sei unser Gast” als Danksagung ist aber selbst bei den ganz Kleinen nur wenig Übertragungsleistung notwendig.

Monotheistische Tischgebete 

Alle abrahamitischen Religionen pflegen Tischgebete. Der Reihe nach. 

Judentum: Segenssprüche und Birkat Hamason

Im Judentum wird sowohl vor dem Essen als auch danach gebetet. Genauer gesagt: Vor den Speisen werden vier Segenssprüche aufgesagt. 

  1. Dank an Jahwe für die Verköstigung
  2. Dank für die Verbundenheit mit dem jüdischen Volk und das “gute Land”
  3. Bitte um Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem
  4. Dank und weitere Bitten

Das Tischgebet “Birkat Hamason” wird nach dem Essen rezitiert. Das Tischgebet wird nach der Mahlzeit im Sitzen an dem Platz gesagt, an dem die Mahlzeit gegessen wurde. Es gibt unterschiedliche Versionen für normale Tage und den “Schabbat”. Letztere nennt man auch “Schabbat Bencher”. Den Text des Tischgebets findet ihr hier

“Und er sprach zu mir: Dies ist der Tisch, der vor dem Ewigen ist.”

Der Quelltext: die Tora
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Das Birkat Hamason wird nur aufgesagt, wenn die Speisen Brot enthielten. Andernfalls reicht auch das “kurze Tischgebet”, etwa wenn nur Wein getrunken, Obst gegessen oder Backwaren bzw. Mehlspeisen (mit Ausnahme eben von Brot) verzehrt wurden. Den Text für das kurze jüdische Tischgebet findet ihr hier

Christentum: “Komm, Herr Jesus, sei unser Gast …”

Wohl jeder kennt das kurze christliche Tischgebet:

Komm, Herr Jesus, sei unser Gast
und segne, was du uns bescheret hast.

Tischgebet (Fritz von Uhde, 1885)
Jesus als Gast beim Tischgebet (Fritz von Uhde, 1885)

Ein weiteres Tischgebet:

Alle guten Gaben,
alles, was wir haben,
kommt, o Gott, von dir,
Dank sei Dir dafür.

Egal, ob es Jesus wirklich gab oder nicht: Seine Anhänger übernahmen nahtlos die Loblieder, Danksagungen und Bitten, die schon das Judentum kennt und die im Alten Testament auch in den christlichen Kanon eingegangen sind. 

Folglich gibt es oft Tischgebete, die aus den Psalmen stammen, zum Beispiel das “Loblied auf den Schöpfer”:

Gibst du ihnen / dann sammeln sie ein /
öffnest du deine Hand / werden sie gesättigt mit Gutem).

Selbstverständlich betet aber nicht die ganze Chjristenheit das gleiche – es gibt konfessionelle Unterschiede. 

So greifen zum Beispiel Lutheraner auf den “kleinen Katechismus” des Wittenberger Kirchengründers zurück und beten zu Tisch zunächst das Benedicite (Bittgebet), wobei “die Kinder und Hausgemeinschaft” mit gefalteten Händen und “züchtig” vor den Tisch treten sollen. 

Benedicite (Bittgebet)

Aller Augen warten auf dich, Herr,
und du gibst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit.
Du tust deine Hand auf und sättigest alles,
was da lebet, mit Wohlgefallen.

Es folgt ein “Vaterunser” und dann:

Herr Gott, himmlischer Vater,
segne uns diese deine Gaben,
die wir von deiner milden Güte zu uns nehmen
durch Jesum Christum, unsern Herrn! Amen.

Darauf folgt das Dankgebet (Gracias), wieder mit einem Vaterunser zwischendurch.

Gracias (Dankgebet)

Danket dem Herrn, denn er ist freundlich,
und seine Güte währet ewiglich;
der allem Fleische Speise gibt,
der dem Vieh sein Futter gibt,
den jungen Raben, die ihn anrufen.
Er hat nicht Lust an der Stärke des Rosses
noch Gefallen an jemandes Beinen.
Der Herr hat Gefallen an denen,
die ihn fürchten und die auf seine Güte warten.

Wir danken dir, Herr Gott Vater,
durch Jesum Christum, unsern Herrn,
für alle deine Wohltat,
der du lebest und regierest in Ewigkeit! Amen.

Luthers Katechismen
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Das Tischgebet im Islam

Etwas einfacher gestrickt sind die islamischen Tischgebete: Erwartungsgemäß auch hier in der Form eines Bittgebets und Dankgebets (in Form eines sogenannten Duʿā’ (arabisch دعاء, DMG Duʿāʾ  = Anrufung, Bitte).

Vor dem Essen
Zu Beginn der Mahlzeit wünschen sich die Speisenden ein einfaches “Bismillah” (”im Namen Gottes”).

Es gibt auch eine etwas längere Version:
“Allahumma bark lana fi ma razqtana wa kina athaban nari, bismillah”, etwa: “Gott, segne uns, unseren Unterhalt, den Du uns gegeben hast, und schütze uns vor dem Feuer, im Namen Gottes“.

Nach dem Essen
Am Ende der Mahlzeit reicht ein kurzes “Al-hamdulillah” (“Gepriesen sei Gott”).

Demut, Dank und Kontemplation

Christliche Tischgebete sind heutzutage nicht mehr so verbreitet wie früher – im Alltag kommen sie fast seltener vor als bei Hochzeit, Taufe oder Beerdigung. 

Auch Konfessionslose bedienen sich gerne verschiedener Tischsprüche und reflektieren, dass die Mahlzeit auf ihren Tellern keine Selbstverständlichkeit ist. Das ist auch gut so – und sie kommen recht gut ohne einen Rückverweis auf das Übernatürliche aus.

Wider die Servilität

Ich konnte das Tischgebet noch nie gut leiden – schon als Kind hatte ich das Gefühl, im Tischgebet und dem Danken und Abbitte leisten für die eigene bloße Existenz wohne etwas allzu Demütiges und Unterwürfiges inne.

Das, was Christopher Hitcher als “abjection” bezeichnete: der servilen Unterwürfigkeit und dem erbärmlichen Im-Staube-Kriechen der katholischen Gebetsrituale wohnt der düstere Impuls der totalen Ergebenheit inne.

Christopher Hitchens:
Religion vs. Moral
Richard Dawkins:
Religion vs. Wissenschaft
Sam Harris:
Religion vs. Logik

Oder wie es anderswo hieß: 
“Immer, wenn’s grade schön wird, macht sie einen mit der Kirchenmacke fertig”.

In diesem Sinne: guten Appetit!

Tischgebet: Amen, ihr verfluchten Penner!

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