Christopher Hitchens und der “Neue Atheismus”

Christoper Hitchens

Christopher Hitchens: Kaum ein Name ist so eng mit dem Begriff des “Neuen Atheismus” verknüpft wie der des gebürtigen Engländers. Der Journalist, Autor, Literaturkritiker und begnadete Rhetoriker verkörperte in unnachahmlicher – und sehr unterhaltsamer – Weise den Kampf gegen kirchliche Vormachtstellungen, Aberglauben und religiösen Fundamentalismus.

Christopher Hitchens: Biographie

Der von seinen Freunden “Hitch” gerufene Hitchens wurde am 13. April 1949 in Portsmouth (England) geboren. Sowohl sein Vater als Offizier wie auch seine Mutter beim Women’s Royal Naval Service waren bei der Royal Navy angestellt. Sein Bruder Peter Jonathan Hitchens, ebenfalls Autor und Publizist, wurde 1952 geboren.

Kindheit und Schulbildung

Bedingt durch den Beruf des Vaters wechselte die Familie öfter den Wohnort. Hitchens’ Mutter legte Wert auf eine hervorragende schulische Ausbildung, welche den Besuch eines Internats und später die Ley School in Cambridge beinhaltete.

1967 wurde Christopher Eric Hitchens in das Balliol College in Oxford immatrikuliert. 1970 beendete er sein Studium mit einem Bachelor in Philosophie, Politik und Wirtschaft. 

Journalistische Tätigkeit von Christopher Hitchens

Anschließend zog Hitchens nach London und begann als Journalist für die The Times Higher Education Supplement zu schreiben. Im weiteren Verlauf schrieb Hitchens unter anderem für Daily Express, New Statesman und Evening Standard

Im Jahr 1982 zog Hitchens nach Washington, D.C., wo er sich als Kolumnist für The Nation einen Namen machte. Außerdem war er für Vanity Fair und bei The Slate auch im Online-Journalismus tätig.

Neben seiner journalistischen Tätigkeit war Hitchens auch schriftstellerisch äußerst produktiv. Er veröffentlichte mehr als ein Dutzend Monografien, zum Beispiel über den US-Gründervater Thomas Paine und den US-Außenpolitiker Henry Kissinger.

Sein Buch über die als “Mutter Teresa” bekannte Anjezë Bojaxhiu, die er für ihre missionarische Tätigkeit in Kalkutta scharf kritisierte, erregte viel Aufsehen. Hitchens bezeichnete sie unter anderem als “fanatische, fundamentalistische Betrügerin”.

Leider wurden nicht alle seine Werke ins Deutsche übersetzt.

über Mutter Teresa
über Thomas Paine
über Henry Kissinger

Fürsprecher des “Neuen Atheismus”

Neben der Veröffentlichung seiner Bücher wurde Hitchens einem breiten Publikum auch durch zahlreiche Podiumsdiskussionen und Auftritte in Rundfunk und Fernsehen bekannt.

Bei diesen Gelegenheiten bezog er häufig eine extrem kirchen- und religionskritische Position. Dabei machte er deutlich, dass er Religion und den Glauben an das Übernatürliche für überkommene Relikte der menschlichen Geistesgeschichte halte, von denen es sich zu emanzipieren gilt.

“Hitchslaps”

Bei vielen dieser Diskussionen trug Hitchens seinen Standpunkt und sein Plädoyer für einen säkularen Humanismus mit bestechender Schlagfertigkeit und einzigartiger Eloquenz vor. 

Besonders Diskutanten des religiösen Lebens, so der baptistische US-Prediger Al Sharpton, der Islamwissenschaftler Tariq Ramadan oder der apologetische Autor Frank Turek bekamen dies zu spüren.

Seine mit unnachahmlicher rhetorischer Schärfe vorgetragenen Repliken gingen im Englischen als “Hitchslap” (dt. etwa “Hitch-Ohrfeige”) in die Alltagssprache ein.

“Der Terminus Hitchslap bezeichnet ein ohne zeitliche Verzögerung vorgetragenes durchschlagendes Gegenargument und/oder ironisches Bloßstellung dessen, was (religiöse) Debattengegner für (tatsächlich nur scheinbar) logische oder nachvollziehbare Begründung der eigenen Position halten.”

Nils Pickert, The European

Erkrankung und Tod

Im Juni 2010 wurde bei Christopher Hitchens Speiseröhrenkrebs im fortgeschrittenen Stadium nachgewiesen. Hitchens beschrieb den Moment seiner Diagnose auf eindringliche Art in einem Artikel bei der Vanity Fair. Nur wenige Tage zuvor hatte Hitchens mit “Hitch-22” seine Memoiren vorgestellt.

Trotz seiner fortgeschrittenen Krankheit war Hitchens weiterhin sehr produktiv und legte seinen erst kurz zuvor erschienenen Memoiren noch eine Monografie über sein eigenes Sterben nach (“Endlich”).

Am 15. Dezember 2011 starb er in Houston (Texas) an einer Lungenentzündung, die er sich in Folge des Speiseröhrenkrebs zuzog. Weltweit wurde er durch Nachrufe und Anteilnahme in Social-Media-Kanälen geehrt.

Hitchens und Atheismus

Hitchens profilierte sich ab den 90er Jahren zusehends als entschiedener und populärer Vertreter des sogenannten Neuen Atheismus, von welchem er allerdings sagte, dass das einzig Neue daran sei, “dass es der jüngste Atheismus” sei.

Bei zahllosen Gelegenheiten führte Hitchens in Wort und Schrift aus, warum er Religion für die Wurzel unermesslichen und vermeidbaren Leids hielt. Besondere Bekanntheit erlangte dabei sein 2007 erschienenes Buch “God is not great—how religion poisons everything”. Das Buch liegt auch in deutscher Übersetzung vor und wurde zum internationalen Bestseller. 

Christopher Hitchens’ Atheismus kann man mit Fug und Recht als Fundamentalkritik aller religiösen Systeme bezeichnen. Religion, so Hitchens, sei “gewalttätig, irrational und intolerant, steht im Bunde mit Rassismus, Standesdünkel und Bigotterie, lehnt in ihrer Ignoranz die freie Forschung ab, verachtet Frauen und züchtigt Kinder”.

Seine Kritik zielt auf alle, trifft aber besonders die abrahamitischen Religionen.

Das alte Testament sei als Grundlage moralischer Konzepte ungeeignet, denn es befürworte Landraub, Genozid, Sklaverei, Todesstrafe, die Unterdrückung der Frau, Genitalverstümmelungen bei Kindern und die Tötung Andersgläubiger.

Im Einzelnen konzentriert sich die atheistische Kritik Hitchens’ auf vier Aspekte.

1. Widerlegte Schöpfungsmythen

Schöpfungsmythen, so auch die Schöpfungsgeschichte der Bibel, sind nachweislich falsch. An ihnen festzuhalten ist wissenschaftsfeindlich und zeigt, dass religiöse Überzeugungen den wissenschaftlichen Diskurs unterminieren oder mit Berufung auf Dogmen sogar gänzlich in Frage stellen.

Hitchens kritisiert in diesem Zusammenhang vor allem den in den Vereinigten Staaten weit verbreiteten Kreationismus, der biblische Schöpfungsmythen wörtlich auslegt und davon überzeugt ist, die Welt sei nur wenige tausend Jahre alt.

2. Unterwürfigkeit, Obrigkeitsglaube und “himmlischer” Totalitarismus

Weiter kritisiert Hitchens Religion als Ursprung devoter Haltung in Bezug auf ein postuliertes allmächtiges Wesen – und in Konsequenz auch in Bezug auf dessen ach so weltliche Vertreter. 

Diese Unterwürfigkeit, die im Kontext der Offenbarungsreligionen mit einem guten Schuss Selbstbezogenheit und Narzissmus gewürzt wird, verwirft Hitchens als unbegründet und unangemessen.

We must also be forced to love someone who we fear: the essence of sado­masochism. The essence of ab­jection. The essence of the master-slave relation­ship. I say this is evil.

Christopher Hitchens

Wir müssen auch gezwungen werden, jemanden zu lieben, den wir fürchten: das ist die Essenz des Sado­maso­chismus. Die Essenz der Er­nie­drigung. Die Essenz der Herr-Sklaven-Beziehung. Ich sage: Das ist verwerflich.

Christopher Hitchens

Hitchens prägte mit Blick auf den abrahamitischen Gott mehrfach das Bild des Totalitarismus und sprach öfter vom “göttlichen Diktator”, der in einer Art “himmlischem Nord-Korea” die Handlungen der Menschheit im kleinsten Detail beobachte und Menschen sogar für ihre Wünsche und Gedanken verurteile. 

Der Glaube an ein solches Konstrukt hindere Menschen daran, eigene moralische Haltungen zu entwickeln und zu hinterfragen.

Religion affects us in our most basic integrity. It says, we can’t be moral without Big Brother, without a totalitarian permission.

Christopher Hitchens

Religion be­ein­flusst uns in unserer grund­­le­gen­den In­te­grität. Sie sagt, wir könnten ohne Big Brother, ohne tota­li­täre Erlaubnis, nicht moralisch handeln.

Christopher Hitchens

3. Unterdrückung freier Sexualität

Als weiteren Kritikpunkt führt Hitchens die Unterdrückung der sexuellen Selbstbestimmung an, die von fast allen Glaubenssystemen in der ein oder anderen Form ausgeübt wird.

Mit Blick auf die katholische Kirche und ihre über Jahrhunderte verfestigte Ablehnung und Verfolgung von Homosexualität bedarf dies kaum einer näheren Erläuterung. 

Hinsichtlich der Haltung der Kirche zu Verhütung und zur Rolle der Frau im Reproduktionszyklus muss man konstatieren: Teile des Klerus befinden sich offenbar gedanklich noch im Mittelalter und bevorzugen es, Menschen an HIV-Infektionen und AIDS sterben zu sehen, als kirchliche sanktionierte Verhütungsverbote zu lockern. 

Hitchens kritisiert zudem die Traumatisierungen, die Kindern beispielsweise durch Jenseitsphantasien und Höllendrohungen zugefügt werden können. Er verurteilt die “Zwangsindoktrination durch den Glauben” als psychischen Missbrauch (“abuse”).

Dazu kommen noch die körperlichen Misshandlungen im Rahmen der schier endlosen Missbrauchsvorwürfe, die sich in so gut wie jeder institutionalisierten Form von Religion finden.

Gleichzeitig rechtfertige Religion unangemessene Eingriffe auch in die körperliche Selbstbestimmung. Sie verletze die körperliche Unversehrtheit von Kindern, etwa durch die Genitalverstümmelung im Rahmen ritueller Beschneidungen im Judentum oder dem Islam.

4. Wunschdenken (“wishful Thinking”)

Hitchens erkennt an, dass Religion für Menschen Trost anbieten kann: gegenüber leidvollen Erfahrungen, gegenüber der Unausweichlichkeit des Todes, gegenüber der scheinbaren Sinnlosigkeit menschlichen Lebens und Strebens.

Dass sich Menschen in der Sicherheit religiöser Überzeugungen wohler fühlten, sei allerdings erstens kein Argument für deren Richtigkeit und bedeute zweitens auch, sich einem Leben im Trugschluss und der Illusion zu ergeben.

Hitchens’ Rasiermesser

In Anlehnung an das erkenntnistheoretische Ockham’sche Rasiermesser formulierte Hitchens ein eigenes “Rasiermesser”. 

Demnach liegt in einem Argument die Beweislast für eine Behauptung bei denjenigen, die die Behauptung aufstellen. Kann die Behauptung nicht begründet werden, so kann die Gegenpartei sie gemäß Hitchens’ Rasiermesser ohne weitere Begründungen verwerfen.

“What can be asserted without evidence can also be dismissed without evidence.”

Christopher Hitchens

„Was ohne Nachweis behauptet werden kann, kann auch ohne Nachweis verworfen werden.“

Christopher Hitchens

Vor dem Hintergrund religionskritischer Debatten hat Hitchens’ Rasiermesser eine besondere Bedeutung. Bei der Frage zum Beispiel, ob es Gott gibt oder ob es Jesus wirklich gab.

Hier ist es ein beliebter Trick gläubiger Diskutanten, die Beweislast “umzukehren” und von Atheisten oder Agnostikern den Nachweis zu fordern, dass dies nicht der Fall sein könne.

Hitchens stellt mit einem Rasiermesser die epistemischen Verhältnisse wieder zurück auf die Füße. Er verlagert die Beweislast zurück zu denen, die eine bestimmte Position behaupten.

Hitchens als “apokalyptischer Reiter” des Neuen Atheismus

Hitchens wurde gemeinsam mit Sam Harris, Richard Dawkins und Daniel Dennett als einer der “vier apokalyptischen Reiter” (“horseman”) bezeichnet. 

Dies spielt auf seine exponierte Stellung als Galionsfigur des Neuen Atheismus an.

Als dessen Verfechter zog Hitchens naturgemäß viel Kritik und Anfeindungen auf sich. Insbesondere in seiner Wahlheimat, den Vereinigten Staaten von Amerika.

Hitchens und Humor

Hitchens war berühmt dafür, enorme Mengen Alkohol konsumieren zu können und grundsätzlich keiner Party aus dem Weg zu gehen. Seine Empfänge in Washington haben legendären Charakter. 

Und obwohl Hitchens in Diskussionen und Artikeln seine Gegenparteien unerbittlich angriff, tat er dies jedoch in den meisten Fällen nicht nur respektvoll, sondern auch humorvoll. Naturgemäß beschränkte sich Hitchens’ Wortgewandtheit nicht auf philosophische und theologische Diskussionen.

Er erzählte auch gern Witze.

Lassen wir ihm also das Schlusswort als Stand-up-Comedian.

Christopher Hitchens als Stand-up-Comedian

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