Jainismus – die Fundamentalisten des Friedens

Als eine der ältesten Religionen der Welt hat der Jainismus eine lange und reiche Geschichte. Diese Religion wurde vor mehr als 2.500 Jahren in Indien gegründet und betont die Bedeutung von Mitgefühl, Gewaltlosigkeit und Selbstdisziplin. Der Jainismus ist eine faszinierende Glaubensrichtung, die ohne einen theistischen Glauben auskommt und für ihre tiefgründigen Lehren und Philosophien bekannt ist.

Verbreitung des Jainismus

Es gibt keine genauen Zahlen zur Anzahl der Jainas weltweit, da keine offiziellen Daten verfügbar sind. Schätzungen zufolge gibt es jedoch weltweit etwa 4-6 Millionen Jainas.

Die Mehrheit der Jainas lebt in Indien, insbesondere in den Bundesstaaten Gujarat und Rajasthan. Es gibt auch eine beträchtliche Anzahl von Jainas in anderen Teilen Indiens, wie Maharashtra, Karnataka, Madhya Pradesh und Uttar Pradesh.

Jain-Tempel in Ranakpur (Rajasthan, Westindien)

Außerhalb Indiens gibt es kleinere Gemeinschaften von Jainas in den USA, Kanada, Großbritannien, Kenia, Tansania, Fidschi, Malaysia und Singapur. In diesen Ländern haben Jainas Gemeinden gegründet und Tempel gebaut, um ihren Glauben zu praktizieren und ihre Kultur und Traditionen zu bewahren.

Obwohl der Jainismus eine vergleichsweise kleine Religion ist, übt sie einen großen Einfluss auf die indische Kultur und Philosophie aus. In der interreligiösen und interkulturellen Verständigung und Zusammenarbeit kam ihm eine wichtige Rolle zu.

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Abgrenzung des Jainismus vom Hinduismus

Jainismus und Hinduismus weisen Ähnlichkeiten auf, sind aber zwei unterschiedliche Religionen. Obwohl sie beide in Indien entstanden sind und einige gemeinsame Elemente teilen, unterscheiden sie sich in vielen Aspekten ihrer Philosophie, ihrer Praktiken und ihrer Geschichte.

Religion ohne Gott: nicht-theistische Religion

Eine der wichtigsten Unterschiede zwischen Jainismus und Hinduismus liegt in ihrer Ansicht über Gott. Während im Hinduismus die Verehrung von verschiedenen Göttern und Göttinnen üblich ist, lehnt der Jainismus die Existenz eines allmächtigen Schöpfers ab und betont stattdessen die Bedeutung von Selbstverwirklichung und dem Streben nach Befreiung von der materiellen Welt.

Ein weiterer wichtiger Unterschied liegt in der Haltung gegenüber Gewalt und Toleranz. Der Jainismus betont die Gewaltlosigkeit und das Prinzip von Ahimsa, das die Vermeidung von Schaden gegenüber allen Lebewesen einschließt, während der Hinduismus Praktiken und Riten kennt, die auf Tieropfer oder das Töten von Tieren ausgerichtet sind. Beispielhaft sei hier das nepalesische Opferfest zu Ehren der Göttin Gadhimai genannt.

Der Jainismus fordert auch die Toleranz gegenüber anderen Glaubensrichtungen, während der Hinduismus eine lange Geschichte von Konflikten und Auseinandersetzungen mit anderen Religionen hat.

Weitere Unterschiede zwischen Jainismus und Hinduismus betreffen ihre heiligen Schriften, ihre religiösen Führer und ihre Anhänger. Der Jainismus hat mit den Agamas eigene Schriften (siehe unten) und auch eigene religiöse Führer: die Tirthankaras.

Als der erste oder einer der ersten Tirthankaras gilt Mahavira, der etwa im 5. Jahrhundert vor Christus gelebt haben soll. Der Jainismus ist also etwas zeitgleich mit dem Buddhismus entstanden.

Mahavira (“großer Held”),
ca. 599-527 v. Chr.

Ahimsa – der jainistische Grundsatz der Gewaltlosigkeit

Ein zentraler Grundsatz des Jainismus ist Ahimsa (Nichtverletzung). Jainas glauben, dass alle lebenden Wesen Seelen haben und dass jede Seele gleich ist und Respekt und Schutz verdient.

Jivas: das dualistische Konzept der jainistischen Seele

Im Jainismus wird die Seele als eine unsterbliche und ewige Einheit betrachtet, die im physischen Körper wohnt. Der Jainismus glaubt an die Existenz unzähliger Seelen, die in einem endlosen Kreislauf der Geburt, des Todes und der Wiedergeburt, dem sogenannten Samsara, gefangen sind. Diese Seelen werden als Jivas oder Lebewesen bezeichnet und können in verschiedenen Formen wie Tieren, Insekten und sogar Pflanzen wiedergeboren werden.

Der Jainismus geht davon aus, dass das Karma, das durch Handlungen in der Vergangenheit angesammelt wurde, die Wiedergeburt der Seele bestimmt. Das Karma beeinflusst auch das Schicksal und das Leben jedes einzelnen Lebewesens.

Das Ziel des Jainismus ist es, die Seele von den Bindungen des Karmas zu befreien und dadurch den Kreislauf der Wiedergeburt zu durchbrechen, um das endgültige Ziel, die Erlösung oder das Nirvana, zu erreichen.

Das Karma reinigen, Wiedergeburt verhindern

Im Jainismus wird die Wiedergeburt als ein unendlicher Zyklus angesehen, der nur durch den Prozess der Reinigung des Karmas unterbrochen werden kann. Um das Karma zu reinigen, betonen die Jainas die Bedeutung folgender Prinzipien:

  • Ahimsa oder Gewaltlosigkeit, 
  • Satya oder Wahrhaftigkeit, 
  • Asteya oder Nicht-Stehlen, 
  • Brahmacharya oder Keuschheit und 
  • Aparigraha oder Nichtbesitz. 

Wenn eine Person in der Lage ist, diese Prinzipien zu leben, kann sie das Karma reduzieren und die Seele von den Bindungen des Kreislaufs der Wiedergeburt befreien.

Zusammenfassend betrachtet der Jainismus die Seele als eine unsterbliche Einheit, die durch den Kreislauf der Wiedergeburt geht, bis sie das Nirvana erreicht.

Das Karma, das durch Handlungen in der Vergangenheit angesammelt wurde, beeinflusst die Wiedergeburt der Seele und das Schicksal jedes Lebewesens. Der Jainismus betont die Bedeutung von Ahimsa und anderen ethischen Grundsätzen, um das Karma zu reinigen und die Seele von den Bindungen des Kreislaufs der Wiedergeburt zu befreien.

Sind alle Jains Vegetarier?

Ja. Aus dem Prinzip des Nichtverletzens folgt für Anhänger*innen des Jainismus zwingend eine strenge vegetarische Ernährung. Und nicht nur das: Jains vermeiden es, irgendein lebendes Wesen zu schädigen, egal wie klein es auch sein mag. So tragen sie beispielsweise Gesichtsmasken oder Tücher um den Mund, um das versehentliche Einatmen von Insekten zu verhindern. 

Ahimsa gilt nicht nur für Tiere, sondern auch für Pflanzen, weshalb Jains Wurzelgemüse meiden.

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Karma

Eine weitere zentrale Idee im Jainismus ist Karma, der Glaube, dass jede Handlung Konsequenzen hat. Jains glauben, dass ihre Handlungen, Gedanken und Worte Karma erzeugen, das ihre gegenwärtigen und zukünftigen Umstände bestimmt. 

Daher bemühen sich Jains, ein Leben von Reinheit, Ehrlichkeit und Selbstdisziplin zu führen, um gutes Karma anzusammeln und spirituelle Befreiung zu erreichen.

Nichts bleibt ohne Konsequenzen für die Jain-Seele

Das Prinzip des Karma ist eine der zentralen Ideen im Jainismus. Jains glauben, dass jede Handlung, jedes Wort und jeder Gedanke eine Wirkung hat, die zu einem bestimmten Zeitpunkt spürbar wird. Die Art und Weise, wie jemand handelt, beeinflusst seine gegenwärtigen und zukünftigen Umstände. Daher betrachten Jains Karma als eine Form der Energie, die das Leben beeinflusst.

Jains glauben, dass jeder Mensch für sein eigenes Karma verantwortlich ist. Sie glauben, dass jedes Wesen eine Seele hat und dass die Seele für das Karma verantwortlich ist, das es angesammelt hat. Wenn jemand gute Handlungen ausführt, wird er gutes Karma sammeln, das ihm in der Zukunft zugute kommt. Auf der anderen Seite führen schlechte Handlungen zu schlechtem Karma und können zu Leiden und Schwierigkeiten in der Zukunft führen.

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Seelenwanderung und Wiedergeburt im Jainismsus

Die Auswirkungen von Karma sind nicht unmittelbar sichtbar und können manchmal erst in späteren Leben spürbar werden. Jains glauben an die Wiedergeburt und dass die Seele nach dem Tod wiedergeboren wird. Das Karma, das in einem Leben angesammelt wird, beeinflusst das Leben in der nächsten Inkarnation.

Moksha: mit gutem Karma zur Erlösung

Aus diesem Grund bemühen sich Jains, ein Leben von Reinheit, Ehrlichkeit und Selbstdisziplin zu führen, um gutes Karma anzusammeln und spirituelle Befreiung zu erreichen. Sie glauben, dass die Befreiung von der Bindung an Karma durch die Erreichung der höchsten spirituellen Ebene erreicht wird, die als Moksha bekannt ist. Durch die Erlangung von Moksha kann die Seele dauerhaft von der Wiedergeburt befreit werden und sich mit dem ewigen und unveränderlichen Wesen des Universums vereinen.

Meditation im Jainismus

Der Jainismus ist auch für seine Betonung von Meditation und Selbstreflexion bekannt. Jains praktizieren verschiedene Formen der Meditation, um ihr inneres Selbst zu entwickeln und sich mit ihrer Seelen zu verbinden. 

Anekantavada

Jains glauben auch an das Konzept des Anekantavada, was “vielseitig” oder “Nicht-Absolutismus” bedeutet. Dieses Prinzip betont, dass es viele Perspektiven und Wahrheiten zu jeder Situation gibt, und ermutigt Jains, offen und respektvoll gegenüber den Meinungen anderer zu sein.

Digambara und Svetambara

In Jainismus gibt es zwei Hauptgruppen, die Digambara und Svetambara. Die Digambara tragen keine Kleidung, während Svetambara weiße Kleidung trägt. Die beiden Gruppen unterscheiden sich auch in ihren Ansichten zur Rolle von Frauen in der Religion und anderen Aspekten des Glaubens.

Erleuchtete Wesen: Siddhas

Jains glauben auch an die Existenz von Siddhas, die erleuchtete Wesen sind, die den Zyklus der Wiedergeburt überwunden haben und Befreiung von der Bindung an Karma erreicht haben. Sie beten zu diesen Siddhas und bauen ihnen Tempel und Schreine, um ihnen zu huldigen.

Jains haben auch einen einzigartigen Stil der Architektur und Kunst, die sich durch ihre Betonung von Ahimsa und Karma auszeichnet. Jain-Tempel sind oft mit komplexen Schnitzereien und Ornamenten verziert und können sehr prächtig sein.

Heilige Stätten des Jainismus: fünf Tempelberge 

Der Jainismus ist eine sehr alte Religion. Die Jainas verehren viele heilige Stätten, die eng mit den Lehren und der Geschichte ihrer Religion verbunden sind. Hier sind einige der wichtigsten Heiligtümer des Jainismus:

1. Shatrunjaya ist eine der wichtigsten Pilgerstätten des Jainismus. Es ist ein heiliger Hügel in Gujarat, Indien, auf dem sich mehr als 850 Tempel befinden, die dem ersten Tirthankara, Lord Rishabha, und anderen Tirthankaras gewidmet sind.

2. Palitana ist ein Wallfahrtsort in Gujarat, Indien, der als “Stadt der Tempel” bekannt ist. Es gibt hier mehr als 900 Tempel, die dem Jainismus gewidmet sind.

3. Mount Abu ist ein heiliger Berg im Bundesstaat Rajasthan, Indien, der eng mit der Geschichte des Jainismus verbunden ist. Der Berg ist die Heimat des berühmten Dilwara-Tempels, der für seine atemberaubende Architektur und seine exquisite Schnitzereien bekannt ist.

4. Kundalpur ist ein wichtiger Pilgerort für die Jainas, da hier der erste Tirthankara, Lord Rishabha, geboren wurde. Der Ort befindet sich im Bundesstaat Madhya Pradesh, Indien.

5. Shravanabelagola ist ein wichtiger Wallfahrtsort für die Jainas in Karnataka, Indien. Der Ort ist berühmt für seine riesige Statue des Bahubali, einem wichtigen Symbol des Jainismus. Die 18 Meter hohe Statue ist eine der größten monolithischen (aus einem Stück gefertigten) Statuen überhaupt. Sie zeigt den Bahubali vollkommen nackt und mit den Beinen im Boden verwachsen – Zeichen seiner völligen Hingabe während seiner asketischen Selbstaufgabe. Alle paar Jahre wird die Statue während der Feierlichkeiten mit Joghurt bedeckt, was ironischerweise den Tod Myriaden festgeklebter Fliegen zur Folge haben dürfte. 

6. Girnar ist ein heiliger Berg in Gujarat, Indien, der eng mit der Geschichte des Jainismus verbunden ist. Der Berg ist die Heimat von mehr als 20 Jain-Tempeln, darunter der Neminath-Tempel und der Dattatreya-Tempel.

Diese Heiligtümer sind wichtige Orte des Glaubens und der Spiritualität für die Jainas und ziehen jedes Jahr Tausende von Pilgern aus der ganzen Welt an.

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Heilige Schriften des Jainismus: Agamas

Es gibt heilige Schriften im Jainismus, die als Agamas oder Jaina-Sutras bekannt sind. Diese Schriften wurden von den Tirthankaras, den spirituellen Lehrern des Jainismus, gelehrt und später von ihren Schülern aufgezeichnet. Die Agamas werden als wertvolle Quelle für die Lehren und Praktiken des Jainismus angesehen und sind für Jainas von großer Bedeutung.

Hauptschriften und Nebenschriften: Angas und Upangas

Die Agamas bestehen aus zwei Hauptkategorien: den zwölf Angas oder Hauptteilen und den Upangas oder Nebenteilen. Die zwölf Angas sind die ältesten und wichtigsten Texte im Jainismus und enthalten religiöse Vorschriften, ethische Grundsätze, spirituelle Lehren und Geschichten über das Leben und die Lehren der Tirthankaras. Die Upangas behandeln Themen wie Metaphysik, Ethik, Kosmologie und Medizin.

Einige der bekanntesten Agamas sind die Acaranga Sutra, die Sutrakritanga Sutra, die Sthananga Sutra und die Bhagavati Sutra. Jeder der 24 Tirthankaras hat auch eigene Schriften und Texte hinterlassen, die als Purvas oder frühere Schriften bekannt sind.

Kommentare: die Niryukti, Tika oder Bhasya

Neben den Agamas gibt es auch Kommentare und Interpretationen der Schriften, die von bedeutenden Jain-Gelehrten verfasst wurden. Diese Schriften, die als Niryukti, Tika oder Bhasya bezeichnet werden, helfen den Jainas bei der Interpretation und Anwendung der Lehren der Agamas im täglichen Leben.

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