Rapture_Entrückung

Entrückung: Himmels-Express oder Geisterbahn?

Die Entrückung ist wohl eines der dämlichsten exotischsten Konzepte der christlichen Endzeiterwartung. Stell’ dir das mal vor: Menschen verlieren die Bodenhaftung, schweben plötzlich und ohne Vorwarnung in die Wolken auf, hin in ein göttliches Licht, in welchem sie lieb‘ Jesulein mit offenen Armen erwartet.

All das ganz ohne Flugticket – zurück bleiben nur ein feiner Kondensstreifen und ein Häufchen verwaister Klamotten. 

Hä, klingt für dich nicht einleuchtend? Wer braucht schon Logik, wenn man einen himmlischen „Rapture“-Pass hat?

Halleluja und wir sind verrückt, äh, entrückt! 

Wie immer bei theologischen Großveranstaltungen gibt es verschiedene Tarife und Meinungen darüber, wann und wie das alles abläuft. Frei nach dem Motto: Entrückung? Ja, bitte, aber Hinweise beachten. 

Schauen wir also mal ins Kleingedruckte und gehen wir der Frage nach: Was genau passiert bei der Entrückung – und warum ist sie noch nicht eingetreten, obwohl sie laut Gläubigen schon längst hätte stattfinden sollen?

John Nelson Darby: entrückter Verfinder

Die Entrückung erlebte ihren großen Durchbruch, als im 19. Jahrhundert in den USA die Idee aufkam, dass es doch eine Abkürzung zum Himmel geben könnte – idealerweise ohne den Umweg über den Tod. Sozusagen „Exitus light“ für die Auserwählten.

Der Prediger John Nelson Darby brachte das Konzept dann richtig in Fahrt. Damals, als die Menschen gerade anfingen, die modernen Errungenschaften wie Dampfmaschinen und Eisenbahnen zu bestaunen, dachten sie sich wohl: „Wenn wir schon auf der Erde so schnell unterwegs sind, warum nicht gleich auch im Himmel?“ 

Seitdem ist die Entrückung zum theologischen Trendsetter geworden – besonders in Kreisen, die sich auf die Apokalypse besser vorbereitet fühlen, als auf den nächsten Familienurlaub.

Entrückung
Vorbereitung ist auch bei der Entrückung alles: Man weiß nie, wann’s einen trifft.

Vor- und nebenchristliche Entrückung

Die Entrückung ist keineswegs nur ein christliches Phänomen. Auch in anderen Religionen gibt es beeindruckende Geschichten über das plötzliche „Abholen“ ins Jenseits.

  • Im Hinduismus macht Arjuna, der Held der Bhagavad Gita, einen Express-Aufstieg zu den himmlischen Gefilden, weil er ein paar richtig gute Krieger-Skills auf dem Schlachtfeld gezeigt hat. 
  • Im Islam wird der Prophet Mohammed auf einer nächtlichen Himmelsreise – der Mi’raj – quasi im VIP-Modus direkt zu Allah gejettet. 
  • Selbst im alten Griechenland wird der Mythos von der Entrückung bedient: Götterliebling Ganymed wird von Zeus höchstpersönlich in den Olymp entführt. 
  • Ein weiteres griechisches Beispiel ist der Held Herakles, der nach seinen irdischen Heldentaten nicht einfach so in den Ruhestand ging, sondern gleich von Zeus auf den Olymp „entrückt“ wurde.

Alles nur ein kosmischer Taxiservice? Man könnte meinen, der Glaube an die Entrückung sei universell – oder zumindest eine kreative Möglichkeit, um das irdische Dasein möglichst stilvoll hinter sich zu lassen.

Entrückung: „Letzter Aufruf für den Flug zu Jesus!“

Evangelikale Christen nehmen die Science-Fiction-Story besonders ernst. Und die Idee, dass DIE in einem einzigen Augenblick in die Luft entrückt werden, ist ja auch ganz angenehm. 

Wenn man’s genau nimmt, gilt das aber nur für die Evangelikalen, die die „Entrückung“ (engl. rapture) wörtlich und wahrhaftig erwarten. Der überwiegende Rest der Christenheit hält dieses Konzept nämlich auch für dämlich. Oder zumindest unbegründet.

Entrückung_Plakat

Die Vorstellung, die Evangelikalen würden entrückt, ist also nicht nur urkomisch, sondern hätte auch so einige Vorteile. Denn besonders evangelikale Christen machen das Leben unnötig kompliziert und mischen sich in Angelegenheiten ein, die sie gar nichts angehen (Bildungspolitik, Gesundheit etc).

Die Entrückung basiert auf Bibelstellen wie 1. Thessalonicher 4,17:

„Dann werden wir, die wir leben und übrig bleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in den Wolken dem Herrn entgegen in die Luft; und so werden wir bei dem Herrn sein allezeit.“

Klingt nach einem ziemlich exklusiven Club, oder?

Allerdings bleibt die Frage: Warum genau fliegen nur manche und andere müssen auf der Erde bleiben?

Ist es eine göttliche Lotterie, eine Art „himmlische Auswahl“? 

Wie auch immer, die Vorstellung ist simpel: Gute Christen werden ohne Vorwarnung hochgebeamt, um dem nächsten Endzeit-Desaster zu entgehen. Man könnte also sagen, die Entrückung ist eine Art Notausgang vor der großen Apokalypse-Party.

Erst abheben, dann zurückkommen – die himmlische Stippvisite Christi

Interessanterweise wird in einigen theologischen Kreisen behauptet, dass die Entrückung nur der erste Akt wäre. Es handelt sich quasi um eine „Sneak-Preview“ der Wiederkunft Christi. 

Zuerst fliegen die Gläubigen zu ihm in die Wolken, um dann, nach einer ordentlichen Trübsalszeit, die Erde zurückzuerobern. Man nennt das im theologischen Fachjargon die „Zweiteilung der Wiederkunft“. 

Es gibt sogar Fahrpläne: Zuerst kommt die Entrückung, dann die Trübsal (für alle, die zurückgelassen wurden – Pech gehabt!), und schließlich kommt Christus triumphierend zurück.

In den Staaten gibt es Leute, die glaubten, wir lebten JETZT in der Endzeit und die „Trübsal“ hätte bereits begonnen. 

Der Quatsch mit Trübsal und Entrückung schwappt mittlerweile auch zu uns rüber.

Deshalb wähnen und wittern sie auch überall den Antichristen: bei schwulen Promis, vor Sonnenfinsternissen, bei Stromausfall. Irgendwie klappt’s dann aber doch immer nicht so recht.

Die Vorstellung von einer solchen einer zweiphasigen Wiederkunft Christi ist besonders in der dispensationalistischen Theologie beliebt – einer Denkrichtung, die besonders gut darin ist, biblische Geschichten in präzise Zeitpläne zu verpacken. 

Aber mal ehrlich: Ist das wirklich nötig? 

Muss der Schöpfer des Universums wirklich in zwei Akten auftreten?
Oder ist das alles nur eine clevere Methode, um die Spannung bis zum Finale zu steigern?
Und warum klappt das eigentlich nie?

Entrücktes Warten auf das Himmelstaxi

Ein häufiger Kritikpunkt an der Entrückungstheorie ist, dass sie – nun ja – bislang nicht eingetreten ist. 

Diverse Pastoren und Propheten haben das himmlische Taxi mehrfach bestellt, aber der Jesus-Uber kam einfach nicht. 

Man könnte meinen, dass es entweder massive Verspätungen im göttlichen Kalender gibt oder die ganze Theorie vielleicht doch eher menschlicher Fantasie entsprungen ist.

Beispiel Harold Camping: der Realität entrückt

Einer der Prediger, die den Schwachsinn besonders laut herausgeblökt hatten, war Harold Camping (1921–2013).

Der Typ hatte dank eigener Radiosendung und anderer Werbemaßnahmen tausende dazu gebracht, zuerst am 6. September 1994 und dann am 21. Mai die Entrückung sehnlichst zu erwarten.

Als nichts passierte, war die Ausrede schnell zur Hand: Rechenfehler! Die Entrückung sei doch am 21. Oktober fällig – doch auch da: absolute Fehlanzeige. Camping musste seinen Weltuntergangswahn kleinlaut zurückziehen.

Entrückung: Bus von Harold Camping
Unter anderem fuhr dieser Entrückungs-Bus durch die Gegend

Die armen Idioten, die das öffentlichkeitswirksame Untergangsgeschwätz für bare Münze gehalten hatten, kündigten teils ihre Jobs, trennten sich von ihren Partnern oder verballerten ihre ganze Kohle – sinnvollerweise oft, indem sie die an den Scharlatan spendeten. Wieso der kurz vor seiner Entrückung überhaupt noch Geld brauchte, wurde nicht weiter erläutert. 

Geblieben ist außer der Enttäuschung bei den Christen wenig. Immerhin: Die ganzen Entrückungs-Storys haben uns mit einigen Memes versorgt, die mittlerweile Klassiker sind.

Entrückung – darf ich da mitmachen?

Ich darf als gottloser Atheistenketzer sicher eh nicht mit. Interessant ist aber: Christen sind sich auch untereinander uneinig, wer überhaupt entrückt wird. 

Manche glauben, dass nur die besonders frommen Christen die himmlische Fahrkarte lösen. Andere meinen, es gäbe eine All-inclusive-Option für alle Gläubigen, auch für jene, die vielleicht nicht jeden Sonntag in der Kirche sitzen. 

Vielleicht gibt es ja eine Bonuspunkte-Karte für Christen, die besonders oft spenden?

Ein ungelöstes Problem bei der ganzen Entrückungstheorie ist: Was mit den Zurückgebliebenen passiert, ist unklar.

Müssen die weiterhin durch die Hölle auf Erden gehen – mit allem Verächtlichen, Bösen, Schlechten und Schalke 04? Oder dürfen die dann irgendwie später nachkommen im himmlischen Flugplan?

Göttlich-entrückter Plan oder göttlicher Witz?

Wenn man den teleologischen Gottesbeweis heranzieht, wird behauptet, dass der Plan Gottes in der Natur und der Geschichte erkennbar ist. 

Doch die Natur und die Geschichte scheinen weit weniger geordnet, als man es für einen „intelligenten“ Plan erwarten könnte. Kriege, Naturkatastrophen, Krankheiten – all das wirft die Frage auf: Wenn es einen göttlichen Plan gibt, hatte Gott da einfach einen schlechten Tag beim Schöpfen? 

Intelligent Design Universum/Kosmos

Denn wirklich gut durchdacht wirkt das alles nicht gerade.

Auch die Entrückung mag eine verlockende Vorstellung für diejenigen sein, die hoffen, der „Endzeit“ zu entgehen. So ein paar grundlegende Verständnisfragen wirft die Entrückung aber trotzdem auf. 

  • Warum lässt ein allmächtiger Gott überhaupt zu, dass es eine Endzeit gibt? 
  • Warum werden die Menschen nicht sofort entrückt? 
  • Warum nicht alle? 
  • Ist es vielleicht doch nur ein himmlisches Schauspiel, bei dem wir die Statisten sind?

Die Entrückung als göttliche Verspätung

Die Entrückung bleibt ein faszinierendes, aber auch umstrittenes Konzept. Sie hat ihre Wurzeln in Bibelstellen, wurde aber durch moderne Theologen stark ausgebaut und ins Detail geplant – fast wie ein apokalyptisches Event-Management.

Ob und wann sie eintritt, bleibt eine Frage des Glaubens, aber eines steht fest: Die große himmlische Reise bleibt bisher aus – trotz wiederholter Versprechungen.

Vielleicht sollten wir alle lieber auf den nächsten Fahrplan achten und uns fragen: Steigen wir wirklich in diesen Zug ein, oder sollten wir den Fahrkartenverkäufern einfach mal etwas kritischer gegenüberstehen?

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