„Fine-Tuning“ ist ein Begriff aus der Kosmologie, welcher die „Abstimmung“ grundlegender physikalischer Größen meint. Diese kosmologische Feinabstimmung (engl.: „Fine-Tuning“) sei notwendig, um ein bewohnbares Universum hervorzubringen.
Wären die Naturkonstanten nur ein kleines bisschen anders, so das Argument, wäre Leben auf Kohlenstoffbasis nicht mehr möglich.
Theologische Vereinnahmung des Fine-Tuning-Arguments
Obwohl Fine-Tuning ursprünglich ein Gedanke aus der Kosmologie ist, finden sich Theologen, die das Fine-Tuning-Argument als Sonderform eines teleologischen Gottesbeweises vereinnahmen wollen.
Sie schließen aus der „Abstimmung“ der Naturkonstanten – an sich schon kein neutraler Begriff – auf „jemanden“, der diese Abstimmung vorgenommen hat. Letztendlich also Gott.

„Jemand“ kann ja nur der abrahamitische Gott Jahwe sein, nicht wahr?
Abrahamitische Religionen interpretieren das Fine-Tuning als Hinweis auf einen Schöpfergott
Es ist jedoch alles andere als klar, ob dies ein gültiger Schluss ist. Wir dröseln das Argument gleich noch detailliert auf und bewerten es. Zunächst sehen wir uns aber an, wann und wie es in der Geschichte der Wissenschaft überhaupt zum Fine-Tuning-Argument gekommen ist.
Die historische Entwicklung des Fine-Tuning-Arguments
Das Konzept des „Fine-Tunings“ hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts entwickelt, als die Wissenschaft die fundamentalen Konstanten und physikalischen Parameter unseres Universums immer genauer zu verstehen begann.
Ein Meilenstein in dieser Entwicklung war die Entdeckung der Feinabstimmung der kosmologischen Konstanten – etwa der Gravitationskraft oder der elektromagnetischen Wechselwirkung – die dafür verantwortlich sind, dass unser Universum überhaupt habitabel (lebensfreundlich) ist.
Im Laufe der Zeit wurde das Fine-Tuning-Argument von Theologen und Apologeten immer öfter aufgegriffen und als vermeintlicher Hinweis auf die Existenz eines Schöpfers interpretiert.
Besonders in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in Verbindung mit der Entwicklung der modernen Kosmologie, begann das Argument eine größere Bedeutung zu erlangen.
Ursprünglich als rein naturwissenschaftliche Entdeckung betrachtet, fand das Konzept schnell seinen Weg in philosophische und theologische Diskussionen.
Fine-Tuning und anthropisches Prinzip
Zu den wichtigsten wissenschaftlichen Entdeckungen, die das Fine-Tuning-Argument unterstützten, gehört das sogenannte anthropische Prinzip, das von Wissenschaftlern wie Brandon Carter in den 1970er Jahren formuliert wurde. Dieses Prinzip besagt, dass die physikalischen Konstanten des Universums genau die Werte haben, die notwendig sind, damit Leben, wie wir es kennen, entstehen kann.
Das Fine-Tuning-Argument: Was genau bedeutet „Feinabstimmung“?
Das Fine-Tuning-Argument lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Es gibt bestimmte physikalische Konstanten und Parameter im Universum – etwa die Stärke der Grundkräfte (Gravitation, elektromagnetische Kraft, schwache und starke Kernkraft) oder die Anfangsbedingungen des Universums –, die so präzise aufeinander abgestimmt sind, dass schon die kleinste Abweichung in einem dieser Werte ein Universum hervorgebracht hätte, in dem Leben nicht existieren könnte.
Kritiker des Zufallsmodells argumentieren, dass die Wahrscheinlichkeit, dass diese Feinabstimmung zufällig auftritt, extrem gering sei.
Daher müsse es eine intelligente Ursache geben, die diese Parameter absichtlich so eingestellt hat, dass Leben möglich ist – und hier sehen viele religiöse Denker den Beweis für einen Schöpfer.
Das klingt dann in etwa so wie bei Markus Widenmeyer, der nicht nur Chemiker, sondern evangelikaler Christ ist und neben der AfD zunächst in der „Partei bibeltreuer Christen“ aktiv war:
„Wir finden ein Universum vor, das in einem unvorstellbaren Grad geordnet und dabei ganz genau so eingerichtet ist, dass es eine hochkomplexe Chemie bis hin zu biologischem Leben geben kann. Seine Ordnung gehorcht mathematischen Prinzipien, die der menschliche Geist unabhängig von Beobachtungen des Universums erfassen kann. Im Rahmen des Naturalismus wäre diese Ordnung ein radikal unerklärlicher Zufall mit einer unvorstellbar geringen Wahrscheinlichkeit. Hier wäre ein völlig ungeordnetes und chaotisches Universum zu erwarten – oder viel eher gar nichts.“
Widenmeyer, „Welt ohne Gott“, S.195
Das Zitat stammt aus Widenmeyers Werk „Welt ohne Gott? Eine kritische Analyse des Naturalismus“, welches ich hier nicht mit einem Affiliate-Link würdigen werde.
Eine ausführliche und sehr gute Kritik des Buches findest du unter: Gibt es prinzipielle Grenzen in den Naturwissenschaften?, einem der generell hervorragenden Beiträge der „AG Evolutionsbiologie“ von Martin Neukamm.
Beispiele für „abgestimmte“ Naturkonstanten
An welchen Naturkonstanten soll sich die vermeintliche Abstimmung denn manifestieren?
Gravitationskraft
Ein klassisches Beispiel dafür ist die Stärke der Gravitationskraft. Wäre diese auch nur ein winziges bisschen stärker oder schwächer, würden Sterne nicht existieren oder sofort kollabieren, so das Argument.
Das würde natürlich die Existenz von Planeten und damit auch die Entstehung von Leben unmöglich machen.

Beryllium-Barriere
Der Begriff Beryllium-Barriere bezieht sich auf ein physikalisches Hindernis im Entstehungsprozess schwererer Elemente im Universum.
In der Kernfusion entstehen neue Elemente, aber bei Beryllium-8 gibt es ein Problem: Es zerfällt extrem schnell. Damit schwerere Elemente wie Kohlenstoff gebildet werden können, muss dieser Zerfall durch spezielle Bedingungen überwunden werden.
Eine dieser Bedingungen ist eine sehr feine Abstimmung der Naturkonstanten, die als Teil des Fine-Tuning-Arguments gesehen wird. Detailliert wird das im bereits erwähnten Beitrag von Martin Neukamm (Teil 3) aufgedröselt. Wir gehen weiter unten auch noch drauf ein.

Weitere „feinabgestimmte“ Naturkonstanten
Analog wird dasselbe Argument auch auf andere kosmische Parameter wie die Expansion des Universums, die Dichte der Materie oder die Eigenschaften der Elementarteilchen angewendet. Hier wären insbesondere das Massenverhältnis von Proton und Elektron zu nennen sowie die Feinstrukturkonstante.
Ist das Fine-Tuning-Argument schlüssig?
Rein wissenschaftlich betrachtet gibt es keinen direkten Beweis dafür, dass die Feinabstimmung tatsächlich auf die Existenz eines Schöpfers hinweist oder dass es diese Art von „koordinierten“ Naturkonstanten überhaupt gibt.
Stattdessen gibt es alternative Erklärungsmodelle, die die beobachtete Feinabstimmung des Universums plausibel ohne übernatürliche Erklärungen darstellen.
Multiversum statt Design
Eine der prominentesten wissenschaftlichen Theorien, die das Fine-Tuning infrage stellen, ist die Multiversum-Hypothese.
Diese besagt, dass es eine unendliche Anzahl von Universen mit unterschiedlichen physikalischen Konstanten gibt und dass wir uns zufällig in einem der Universen befinden, in dem die Bedingungen lebensfreundlich sind.
Diese Idee reduziert die scheinbare Unwahrscheinlichkeit der Feinabstimmung, da sie nicht mehr als „Wunder“, sondern als Ergebnis einer großen statistischen Vielfalt betrachtet werden kann.
Kohlenstoffchauvinismus
Ein weiterer kritischer Punkt des Fine-Tuning-Arguments ist die Annahme, dass die Lebensfreundlichkeit des Universums notwendigerweise die Existenz von intelligentem Leben (wie wir es kennen) bedeuten muss.
Hier wird oft übersehen, dass wir uns auf eine sehr spezifische Form von Leben fokussieren, nämlich kohlenstoffbasiertes Leben, weswegen in diesem Zusammenhang der Begriff des Kohlenstoffchauvinismus geprägt wurde.
Unter anderen physikalischen Bedingungen wären jedoch auch andere Formen von Leben denkbar, auch wenn diese Formen uns völlig fremd erscheinen. Als Alternative zum Kohlenstoff als Grundbaustein komplexer Moleküle wird häufig Silizium genannt.
Fine-Tuning und Religion: wackeliger teleologischer Unterbau
Das Fine-Tuning-Argument hat eine starke Anziehungskraft auf religiöse Denker ausgeübt, die es als modernen „Beweis“ für die Existenz Gottes deuten.
Man muss zugeben: Es ist sicherlich nicht der schlechteste Ansatz für dieses Vorhaben.
Andererseits ist gerade dieser religiöse „Mehrwert“ des Arguments problematisch, denn das Argument wird gerne von Anhängern des Kreationismus vertreten – und der ist aus vielerlei Gründen und nachweislich Quatsch.
Kritik am Fine-Tuning-Ansatz
Den Fine-Tuning-Ansatz kann man als Spezialfall des teleologischen Gottesbeweises sehen.
Die Annahme, dass die scheinbare Zweckmäßigkeit in der Natur auf einen bewussten Planer schließen lässt, wird allerdings heute von vielen Philosophen und Wissenschaftlern stark kritisiert.
Wenn das Argument für einen Schöpfer herangezogen wird, neigt es dazu, eine Lücke im Wissen zu füllen – es basiert auf der Prämisse, dass wir nicht verstehen, warum das Universum genau so ist, wie es ist, und daher muss es einen übernatürlichen Grund geben.
Diese Argumentation lässt sich logisch nicht schlüssig herleiten; sie folgt nicht aus dem Gegebenen („Non-Sequitur-Fehlschluss“).

Fine-Tuning als Zirkelbeweis
Ich hatte eingangs schon geschrieben, dass der Begriff „Fine-Tuning“ nicht neutral ist, denn er setzt letztendlich bereits voraus, was er zu beweisen sucht. Diese Art von Schluss nennt man „Petition Principii“ oder Zirkelbeweis.
Da der Ausdruck „tuning“ (abstimmen) implizit bereits den Schöpfergott voraussetzt, der als handelndes und bewusstes Individuum aber erst noch zu beweisen wäre, erfüllt das Fine-Tuning alle Merkmale des Zirkelbeweises.
Erfordert die Beryllium-Barriere eine übernatürliche Erklärung?
Zurück zur Beryllium-Barriere bei der Kernfusion in Sternen: Hier war das Szenario, dass drei Helium-Kerne gleichzeitig zusammenstoßen müssten, um Kohlenstoff zu erzeugen – dieses Ereignis aber so unwahrscheinlich ist, dass sich Kohlenstoff nur sehr langsam bildet.
Diese Schwierigkeit wird durch einen Effekt abgefedert, der Tripel-Resonanz heißt. Die Energie von zwei Heliumkernen entspricht fast genau dem Grundzustand eines Berylliumkerns.
Die Energie von zwei Berylliumkernen und einem Heliumkern wiederum entspricht dem Anregungszustand des Kohlenstoffkerns C12. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit drastisch erhöht, dass Kohlenstoff entsteht. Diese Abhängigkeit ist es, die als Beispiel für Feinabstimmung angeführt wird.

Nun kann man aber einwenden, dass ein allmächtiger Schöpfer diese Art von Feinabstimmung gar nicht nötig hätte.
„Hätte ein solcher Schöpfer Leben hervorbringen wollen, hätte er dies nämlich auch tun können, ohne die Naturkonstanten darauf einzustellen: Selbst wenn keine der als feinabgestimmt angenommenen Naturkonstanten die richtigen Werte besäßen, wäre es für ihn möglich, in einem solchen weitestgehend unwirtlichen Kosmos an einigen Stellen die ‘richtigen’ Bedingungen zu erschaffen – d. h. ein ‘Wunder’ geschehen zu lassen, für das es keine Feinabstimmung braucht.“
Martin Neukamm, in: Besprechung des Buches „Welt ohne Gott“
Die sogenannte Feinabstimmung wäre damit sogar eher ein Hinweis darauf, dass es keinen übernatürlichen Schöpfer gegeben haben kann, weil sie nur in einem von physikalischer und biologischer Evolution geprägten Universum überhaupt Sinn ergibt.
Lebensfeindlichkeit vs. Fine-Tuning
Ein weiterer Kritikpunkt: Wenn die Naturkonstanten von einer übernatürlichen Intelligenz „eingerichtet“ wurden, wieso ist dann der überwiegende Teil des Universums so lebensfeindlich?
Wieso erfordert es mehrere hundert Milliarden Galaxien, um wenige Planeten in der habitablen Zone eines Sterns hervorzubringen mit uns paar Leutchen drauf, wenn der Oberschöpfer das auch „ex nihilo“ quasi per Fingerschnippen hätte vollbringen können?

„God of the Gaps“
Ein weiterer zentraler Kritikpunkt ist die sogenannte „Gott der Lücken“-Argumentation („God of the Gaps“). Diese besagt genau das: dass die teleologische Beweisführung eine Erklärungslücke füllt, die aus Unwissenheit resultiert.
Statt Unklarheiten durch wissenschaftliche Erforschung zu beseitigen, wird ein Gott oder ein intelligentes Wesen herangezogen, um diese Lücke zu erklären. Mit zunehmendem wissenschaftlichem Fortschritt werden jedoch viele dieser Lücken geschlossen, ohne dass ein göttlicher Eingriff nötig wäre. In dieser Hinsicht bleibt das Fine-Tuning-Argument zwar eine spannende wissenschaftliche Hypothese, verliert jedoch an Überzeugungskraft, sobald es zur theologischen Spekulation verkommt.
Besonders die Evolutionsbiologie und die Kosmologie haben gezeigt, dass sich viele der Phänomene, die früher als Beweis für sogenanntes intelligentes Design galten, durch natürliche Prozesse erklären lassen.

a) Nervenschicht unterscheidet hell-dunkel
b) Einbuchtung erlaubt Richtungsbestimmung des Lichteinfalls
c) Lochkamera-Prinzip
d) Einfache Linse
e) Komplexe Linse
Die Rolle der Statistik und die Feinabstimmung
Ein weiterer methodischer Kritikpunkt betrifft die Verwendung der bayesschen Statistik im Fine-Tuning-Argument.
Swinburne und andere Befürworter nutzen diese statistische Methode, um die Wahrscheinlichkeit eines göttlichen Schöpfers zu berechnen. Doch selbst innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft gibt es keine Übereinstimmung über die Anwendbarkeit der bayesschen Statistik auf metaphysische oder theologische Hypothesen.
Kritiker wie Bruno de Finetti beschränken die Anwendung dieser Methode auf empirisch überprüfbare Hypothesen – und zu denen gehört die Frage nach der Existenz eines Schöpfers definitiv nicht.
Fine-Tuning ohne Beweise
Zum Schluss noch das Offensichtliche: Wir wissen gar nicht sicher, ob es eine Feinabstimmung der Naturkonstanten gibt.
Dieses Wissen würde nämlich die Kenntnis voraussetzen, dass nahezu alle (oder zumindest die allermeisten) Veränderungen der Naturkonstanten zu lebensfeindlichen Universen führen. Doch nicht einmal für die tatsächlichen Werte der Naturkonstanten sind alle Bedingungen bekannt, unter denen die Entstehung von Leben (in welcher Form auch immer) möglich wäre.
Würde man einige Naturkonstanten ändern, würden sich möglicherweise auch die Eigenschaften der chemischen Elemente so verändern, dass ein anderes Element (etwa Silicium) wesentliche Eigenschaften des Kohlenstoffs besäße. Es ist auch möglich, dass bei einer Veränderung der Naturkonstanten andere (nicht-molekulare) Strukturen auftauchen würden, die als Basis für Leben infrage kämen.
Der US-amerikanische Physiker und Astronom Victor Stenger hat mit Simulationen untersucht, was passieren würde, wenn man mehrere Naturkonstanten gleichzeitig variieren könnte. Dabei ließ er Variationen um den Faktor 100.000 über und unter den heutigen Werten zu. Also eine sehr „grobe Feinabstimmung“.
Das Ergebnis: Viel größere Schwankungen der Konstanten führten zu lebensfreundlichen Resultaten, weil diese wiederum von anderen Größen kompensiert würden. In über der Hälfte der simulierten Universen wäre die Existenz langlebiger Sterne (über eine Milliarde Jahre) möglich – was man nicht unbedingt als „Feinabstimmung“ bezeichnen kann.
Stenger folgerte daraus sogar den atheistischen Nachweis, dass Gott nicht existiert.

Fazit: Fine-Tuning und Wissenschaft vs. Religion
Das Fine-Tuning-Argument ist ein Beispiel dafür, wie wissenschaftliche Erkenntnisse in religiöse Debatten einfließen.
Doch sobald es zur Rechtfertigung einer religiösen Weltsicht verwendet wird, treten erhebliche Schwächen zutage. Alternative wissenschaftliche Erklärungen, wie die Multiversum-Theorie, liefern ebenfalls plausible Deutungen der Feinabstimmung, ohne die Notwendigkeit eines Schöpfers.
Zudem führen philosophische Einwände, wie das Naturalismus-Argument, das Fine-Tuning-Argument ad absurdum, indem sie aufzeigen, dass ein nicht feinabgestimmtes Universum eher auf einen Schöpfer hinweisen würde als unser tatsächlich beobachtetes Universum.
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