Der Jesus-Mythos

Jesus-Mythos: Was, wenn es Jesus nie gab?

Als „Jesus-Mythos“ bezeichnet man eine umstrittene Theorie, die die historische Existenz Jesus von Nazareth infrage stellt und die biblischen Erzählungen als mythologische oder symbolische Geschichten betrachtet.

Die Debatte um den Jesus-Mythos reicht von akademischen Diskussionen bis hin zu populärkulturellen Darstellungen und berührt grundlegende Fragen über die Ursprünge des Christentums. 

Es gibt gute Argumente, die für Jesus-Mythos sprechen, aber es gibt auch einige dagegen. Zwei Dinge kann man aber gleich vorwegstellen. Erstens: Die Historizität des Jesus von Nazareth ist keinesfalls so unumstritten, wie die meisten Christen sich das in der Regel vorstellen. Und zweitens: Selbst wenn es Jesus als historische Person wirklich gab, bedeutet dies noch lange nicht, dass die „Wunder“ der Ostergeschichte stattgefunden haben oder dass Jesus ein Gott ist.

Ursprung und Definition des Jesus-Mythos

Der Jesus-Mythos ist ein Konzept, das die historische Existenz von Jesus von Nazareth infrage stellt und vorschlägt, dass die biblischen Geschichten über sein Leben, seine Lehren und seine Wunder größtenteils oder vollständig mythologisch sind. 

Der Ursprung der Jesus-Mythos-Theorie lässt sich bis in das 18. Jahrhundert zurückverfolgen, als die historisch-kritische Methode begann, die Bibel und ihre Quellen zu untersuchen. Gelehrte wie David Friedrich Strauß und spätere Denker wie Bruno Bauer und Arthur Drews trugen wesentlich zur Entwicklung und Verbreitung dieser Idee bei.

Der Jesus-Mythos basiert auf der Annahme, dass es keine zuverlässigen zeitgenössischen Quellen gibt, die die Existenz von Jesus außerhalb der biblischen Texte belegen. 

Befürworter dieser Theorie argumentieren oft, dass viele Elemente in den Geschichten über Jesus Ähnlichkeiten mit älteren mythologischen Erzählungen und religiösen Traditionen haben, was darauf hindeutet, dass sie eher symbolisch als historisch zu interpretieren sind.

In der modernen Forschung ist der Jesus-Mythos umstritten und wird von der Mehrheit der Historiker und Bibelwissenschaftler abgelehnt. Die vorherrschende Meinung ist, dass es eine historische Figur namens Jesus gab, die als jüdischer Prediger in Galiläa und Judäa tätig war und dessen Leben und Tod einen bedeutenden Einfluss auf die Entstehung des Christentums hatten. Trotzdem bleibt der Jesus-Mythos ein faszinierendes Feld für akademische Debatten und kulturelle Diskussionen.

Hauptvertreter des Jesus-Mythos und ihre Thesen

Die Debatte um den Jesus-Mythos wird von einigen Schlüsselfiguren und ihren Thesen geprägt. Zu den Hauptvertretern dieser Theorie zählen:

Bruno Bauer (1809–1882)

Ein deutscher Philosoph und Theologe, der als einer der ersten die historische Existenz Jesu in Frage stellte. Bauer argumentierte, dass das Christentum eine Synthese aus verschiedenen philosophischen und religiösen Ideen der Antike sei und dass die Evangelien als literarische Schöpfungen und nicht als historische Dokumente zu verstehen seien.

Christus und die Caesaren. Der Ursprung des Christenthums aus dem römischen Griechenthum.
Bauer gilt als Wegbereiter der sogenannten radikalkritischen Schule

Arthur Drews (1865–1935) 

Ein deutscher Philosoph und Schriftsteller, bekannt für sein Werk „Die Christusmythe“. Drews behauptete, dass Jesus eine mythologische Figur sei und das frühe Christentum ursprünglich eine Art Gnosis ohne einen historischen Jesus war. Er sah Parallelen zwischen der Jesus-Geschichte und anderen mythologischen Erzählungen.

Drews: Der Mythos Jesus Christus
Drews‘ Buch leugnet die Historizität Jesu

George Albert Wells (1926–2017)

Ein britischer Professor und Autor, der mehrere Bücher über den Jesus-Mythos verfasste. Wells argumentierte, dass die frühesten Schichten des Neuen Testaments keinen historischen Jesus voraussetzen und dass die späteren Evangelien mythologische Elemente enthalten, die nicht auf historischen Tatsachen beruhen.

Earl Doherty (geb. 1941)

In der Passage aus den „Antiquitates Judaicae“ von Flavius Josephus wird die Hinrichtung von Jakobus, dem Bruder Jesu, erwähnt. Doherty argumentierte 1999, dass Josephus in seiner berühmten Jakobsnotiz nicht Jesus von Nazaret meinte, sondern einen anderen Jesus, nämlich Jesus bar Damneus. Doherty sah den Zusatz „…der Christus genannt wird“ als spätere christliche Einfügung an, da er vermutete, dass der Kontext eher auf innerjüdische Machtkämpfe hinweist.

Das Jesus-Puzzle: Basiert das Christentum auf einer Legende?
Mit diesem Buch knüpft Earl Doherty an die Evangelienkritik der vergangenen 100 Jahre an

Dan Barker (geb. 1945)

Dan Barker, ein amerikanischer Autor und prominenter Atheist, ist ebenfalls ein Befürworter der These des Jesus-Mythos. Er ist ein ehemaliger evangelischer Pastor, der zum Atheismus konvertierte und Mitvorsitzender der Freedom From Religion Foundation ist. Barker vertritt die Ansicht, dass es keine überzeugenden historischen Beweise für die Existenz von Jesus gibt.

Dan Barker: „Das Jesus-Märchen“. Du kannst bei der Debatte auch Untertitel auf Deutsch einblenden

Barker hebt hervor, dass viele Erzählungen in den Evangelien mythologische oder allegorische Elemente enthalten, die sie eher als literarische oder theologische Texte denn als historische Dokumentation erscheinen lassen. Barker fordert eine kritische Überprüfung der biblischen Texte und eine Neubewertung der Annahme, dass Jesus als historische Person existiert hat.

Robert M. Price (geb.1954)

Dr. Robert M. Price ist ein weiterer einflussreicher Vertreter der These des Jesus-Mythos und eine bekannte Persönlichkeit in der Debatte um die historische Existenz Jesu. Als Theologe, Bibelkritiker und Autor hat Price umfangreiche Arbeiten veröffentlicht, die die historische Verlässlichkeit der biblischen Erzählungen über Jesus hinterfragt.

Jesus-Mythos: Bob Price
Robert M. Price

Price, der über einen Doktortitel in systematischer Theologie sowie in Neutestamentlicher Bibelkritik verfügt, argumentiert seit 1993, dass die Figur Jesu Christi möglicherweise eine synthetische Zusammenstellung verschiedener mythologischer und theologischer Motive darstellt, die aus unterschiedlichen Quellen der nahöstlichen Antike stammen.

Er hebt hervor, dass viele Geschichten im Neuen Testament Parallelen in älteren religiösen Mythen und literarischen Werken aufweisen, was darauf hindeuten könnte, dass sie eher mythologischen als historischen Ursprungs sind.

In seinen Büchern wie „Deconstructing Jesus“ und „The Christ-Myth Theory and Its Problems“ bietet Price eine detaillierte Analyse der biblischen Texte und anderer historischer Quellen.

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Er setzt sich kritisch mit traditionellen christlichen Ansichten auseinander und fordert Leser dazu auf, die Annahmen über die Historizität Jesu kritisch zu hinterfragen. Prices Arbeit ist für ihre gründliche Forschung und ihr Engagement für eine kritische Betrachtung der biblischen Geschichte bekannt, auch wenn seine Schlussfolgerungen in der akademischen Welt umstritten sind.

Richard Carrier (geb. 1969)

Dr. Richard Carrier ist ein bekannter Proponent der These des Jesus-Mythos und ein einflussreicher Autor in der Debatte um die historische Existenz Jesu. Carrier, promoviert in antiker Geschichte, ist für seine Anwendung der Bayes’schen Wahrscheinlichkeitstheorie auf historische Fragen bekannt, insbesondere in Bezug auf die Historizität Jesu.

In seinen Werken, darunter „On the Historicity of Jesus: Why We Might Have Reason for Doubt“ und „Proving History: Bayes’s Theorem and the Quest for the Historical Jesus“, argumentiert Carrier, dass es statistisch gesehen wahrscheinlicher ist, dass Jesus eine mythische und nicht eine historische Figur war.

Er analysiert die biblischen Texte und außerbiblischen Quellen, um zu zeigen, dass es keine verlässlichen Belege für die Existenz eines historischen Jesus gibt. Carrier stellt die Annahme infrage, dass die Geschichten über Jesus auf tatsächlichen Ereignissen beruhen, und argumentiert stattdessen, dass sie möglicherweise aus früheren jüdischen und hellenistischen Mythen und philosophischen Konzepten entstanden sind.

Carriers Ansatz ist methodisch einzigartig und hat in akademischen Kreisen sowohl Zustimmung als auch Kritik hervorgerufen. Seine Arbeit hat wesentlich dazu beigetragen, das Interesse und die Diskussion um den Jesus-Mythos sowohl in der akademischen Welt als auch in der breiteren Öffentlichkeit zu beleben. Trotz der Kontroversen um seine Thesen wird Carrier häufig als eine Schlüsselfigur in der modernen Jesus-Mythos-Bewegung angesehen.

Argumente für den Jesus-Mythos

Die Argumente für den Jesus-Mythos basieren auf verschiedenen Überlegungen und Analysen, die die historische Existenz Jesu von Nazareth in Frage stellen. Zu den Hauptargumenten zählen:

Mangel an zeitgenössischen Jesus-Quellen

Eines der stärksten Argumente für den Jesus-Mythos ist das Fehlen von zeitgenössischen historischen Belegen für das Leben Jesu. Abgesehen von den biblischen Evangelien gibt es keine Aufzeichnungen über Jesus von unabhängigen Quellen aus seiner angeblichen Lebenszeit. Erst Jahrzehnte nach seinem Tod erscheinen Berichte über ihn in historischen Dokumenten.

Parallelen der Jesus-Geschichte zu anderen mythologischen Figuren

Befürworter des Jesus-Mythos weisen darauf hin, dass viele Elemente der Geschichten über Jesus Ähnlichkeiten mit älteren mythologischen oder religiösen Figuren aufweisen. Dazu gehören Konzepte wie die jungfräuliche Geburt, der leidende Erlöser und die Auferstehung von den Toten, die in verschiedenen Kulturen vor dem Christentum zu finden sind.

Die Evangelien als literarische Schöpfungen

Viele Vertreter des Jesus-Mythos betrachten die Evangelien nicht als historische Dokumente, sondern als literarische Werke, die theologische und moralische Botschaften vermitteln. Sie argumentieren, dass diese Texte allegorisch oder metaphorisch zu verstehen sind und nicht auf tatsächlichen Ereignissen basieren.

Fehlen archäologischer Beweise

Die Abwesenheit überzeugender archäologischer Beweise für die Existenz Jesu oder für die spezifischen Ereignisse, die in den Evangelien beschrieben werden, wird ebenfalls als Argument für den Jesus-Mythos angeführt.

Wie viele Kreuzigungsopfer kennt die Archäologie? Erfahre hier mehr

Spätere Entwicklung des Christentums

Ein weiteres Argument ist, dass das Christentum als Religion sich in den Jahrzehnten nach Jesu vermeintlichem Tod entwickelte und dabei Elemente aus verschiedenen religiösen Traditionen und Konfessionen aufnahm. Dies wird als Indiz dafür gesehen, dass die Figur Jesu eher eine symbolische Zusammenstellung verschiedener religiöser und mythologischer Konzepte sein könnte.

Argumente gegen den Jesus-Mythos und historische Beweislage

Die Gegenargumente zur These des Jesus-Mythos und die historische Beweislage unterstützen die Auffassung, dass Jesus von Nazareth eine reale historische Figur war. 

Jenseits des Mythos? Außerbiblische Hinweise auf Jesus

Während direkte zeitgenössische Aufzeichnungen über Jesus fehlen, gibt es außerbiblische Hinweise auf Jesus in Werken römischer und jüdischer Historiker wie Tacitus, Flavius Josephus, Plinius der Jüngere und Sueton. 

Flavius Josephus: Jüdische ALtertümer
Flavius Josephus: Der jüdische Krieg

Den historischen Kontext kennen wir von Flavius Josephus (37/38–100), der allerdings erst nach Jesus Tod geboren wurde [Klicke auf die Cover | Anzeige]

Allerdings wurden diese Jahrzehnte nach seinem vermuteten Tod geschrieben. Einige tragen deutliche Zeichen nachträglicher Änderungen (so beispielsweise das berühmte Testimonium Flavianum) oder Verwechslungen. Diese Quellen stützen die Annahme, dass es einen historischen Jesus gab, damit nur sehr indirekt.

Historische Genauigkeit der Evangelien

Einige Gelehrte betrachten die Evangelien, trotz ihrer theologischen Ausrichtung, als Werke, die wertvolle historische Informationen enthalten können. Sie argumentieren, dass zahlreiche Details in den Evangelien kulturell und historisch konsistent mit dem Palästina des 1. Jahrhunderts sind.

Trotzdem gibt es auch hier Probleme: Die Evangelien sind nämlich mit sich selbst nicht konsistent und widersprechen sich in zahllosen Details, etwa bei der Auferstehung und der Himmelfahrt

Himmelfahrt Jesus
Zur Himmelfahrt selbst macht keines der Evangelien genauere Angaben

Frühe christliche Zeugnisse

Die Existenz früher christlicher Gemeinden und Schriften wenige Jahrzehnte nach dem vermuteten Tod Jesu deutet darauf hin, dass die Erinnerung an eine historische Figur namens Jesus die Grundlage für diese Gemeinschaften bildete.

Kritische Analyse der Mythos-Parallelen

Während einige Elemente der Evangelien Ähnlichkeiten mit älteren Mythologien aufweisen, argumentieren viele Gelehrte, dass direkte Parallelen oft überinterpretiert werden. Sie weisen darauf hin, dass Ähnlichkeiten in religiösen Erzählungen nicht notwendigerweise auf direkte Beeinflussung oder Erfindung hinweisen. Das ist allerdings kein Beleg dafür, dass sie dies nicht trotzdem taten.

Historisch-kritische Sichtweise

Die Anwendung der historisch-kritischen Methode auf die biblischen Texte hat dazu beigetragen, das Verständnis des historischen Jesus zu vertiefen. Diese Methode berücksichtigt literarische und historische Kontexte sowie die Entwicklung der biblischen Texte über die Zeit.

Fazit Jesus-Mythos

Wir fassen zusammen: Die historische Beweislage für Jesus von Nazareth ist nicht so umfassend wie für viele andere historische Figuren – bei Weitem nicht. Sie ist mit nur einem halben Dutzend außerbiblischen Quellen in den ersten zwei Jahrhunderten nach Jesu Tod sogar erstaunlich dünn. Trotzdem hält die Mehrheit der Historiker und Bibelwissenschaftler aufgrund der vorhandenen Indizien die Existenz und Wirksamkeit eines jüdischen Wanderpredigers namens Jesus im 1. Jahrhundert für plausibel.

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Kommentare

2 Antworten zu „Jesus-Mythos: Was, wenn es Jesus nie gab?“

  1. Gute Zusammenfassung.

    Ich würde noch ergänzen, dass ein weiteres wesentliches Argument für die Jesus-Mythos-These das offensichtliche Desinteresse des Paulus in seinen als authentisch angenommenen (aber auch den gefälschten) Briefen an einem irdischen Jesus ist. Er besteht regelmäßig darauf, dass ihm Jesus persönlich in Visionen erschienen sei und er sein „Wissen“ von keinem Menschen erhalten habe.

    Wir werden diese Frage wohl nie final entscheiden können, die Evidenz für und wider ist zu dünn und widersprüchlich. Es ist vollkommen in Ordnung, diese Frage mit „wir wissen es nicht“ zu beantworten.

    1. Danke, Balázs, für die Ergänzung. Bei Paulus geht es schon in Richtung „Kerygma“. Das erhellt durchaus vor dem Hintergrund, dass bei der Historizität so wenig zu holen ist. Ich werde es bei Gelegenheit ergänzen!

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