Glauben-meinen-wissen

Glauben heißt nicht wissen – oder?

„Glauben heißt nicht wissen“: Jede*r hat diesen Spruch schon einmal gehört. Aber was ist damit eigentlich gemeint? Und stimmt das denn?

Wir betrachten die Aussage sprachphilosophisch und trennen die Begriffe „glauben“ und „wissen“ sauber voneinander ab. Wie wir sehen werden, muss auch das Verb „meinen“ untersucht werden; das haben wir Platon zu verdanken. 

Glauben heißt nicht wissen – wer sagt das denn?

Und los geht’s. Wer verwendet die Aussage, dass glauben nicht wissen heißt? Und wie ist das eigentlich gemeint?

Die Formulierung begegnet uns in zwei Arten von Situationen. Erstens, wenn jemand so etwas sagt wie „Ich glaube, wir haben noch Kartoffeln im Keller.“ Hier geht es um Alltagssituationen und eine Vermutung oder Annahme.

Zweitens, und hier wird es viel spannender, finden wir den Satz, dass glauben nicht wissen heißt, als Replik auf die sogenannten Glaubensgewissheiten in theologischen und religionsphilosophischen Debatten.

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Eine Formulierung, zwei Bedeutungen von „glauben heißt nicht wissen“

Dazu muss man sich vergegenwärtigen, dass der Satz auf zwei verschiedene Weisen gelesen werden kann. Ich verwende Anführungszeichen zur Verdeutlichung:

  1. Glauben heißt nicht „wissen“.
  2. Glauben heißt „nicht wissen“.

Die beiden Lesarten sind nicht identisch. Der erste Satz sagt aus, dass „glauben“ und „wissen“ unterschiedliche Dinge sind. Hier wird auf eine kategoriale Unterscheidung zwischen Glauben und Wissen hingewiesen, also dass Glauben nicht gleich Wissen ist.

Mit der zweiten Betonung wird „glauben“ ausdrücklich als das Gegenteil von Wissen dargestellt. Es wird behauptet, dass glauben genau das Fehlen von Wissen bedeutet.

Diese stärkere, polarisierende Aussage wird oft im Kontext von Religionskritik und Religionsphilosophie verwendet. Skeptiker oder Atheisten verwenden sie, um Glauben als minderwertig oder unzureichend im Vergleich zu Wissen darzustellen – eine Position, die nur schwer angreifbar ist, wie wir noch sehen werden.

Begriffsklärungen: meinen, glauben, wissen 

Die Begriffe „meinen“, „glauben“ und „wissen“ unterscheiden sich grundlegend in ihrer Beziehung zur Wahrheit, zu Beweisen und zur Sicherheit der Überzeugung. Diese Unterscheidung wird seit Platon reflektiert. 

Meinung und Wissen bei Platon

Platon unterscheidet zwischen Doxa (Meinung) und Episteme (Wissen) besonders deutlich in seinem Werk „Politeia“ (Der Staat).

In diesem Dialog – insbesondere im siebten Buch, wo das berühmte Höhlengleichnis behandelt wird – verdeutlicht Platon den Unterschied zwischen bloßer Meinung (Doxa), die sich auf die sinnlich wahrnehmbare Welt stützt, und wahrem Wissen (Episteme), das sich durch die Erkenntnis der Ideenwelt auszeichnet.

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Politeia: Gernot Krapingers Neuübersetzung und Neukommentierung lässt auch den philosophisch nicht vorgebildeten Leser diesen Urtext aller politischen Theorien verstehen. (Anzeige)

Im ebenso berühmten Liniengleichnis in Buch VI der „Politeia“ beschreibt er diesen Unterschied als Teil eines Erkenntnismodells, das verschiedene Stufen des Verstehens und der Erkenntnis aufzeigt.

Die unteren Stufen (Eikasia und Pistis) betreffen Doxa, während die höheren Stufen (Dianoia und Noesis) zur Episteme gehören.

Meinen

„Meinen“ bezeichnet demnach eine persönliche Auffassung oder Einschätzung, die jedoch unsicher und vorläufig ist.

Eine Meinung basiert auf subjektiven Eindrücken oder Vermutungen und ist oft nicht durch fundierte Beweise oder rationale Argumente gestützt. Das Meinen ist also tendenziell spekulativ, die Aussage, die man meint, kann zutreffen oder nicht. Mit Meinungen ist es also so eine Sache. Jeder hat eine, zu fast jedem Thema. Auch ohne gute Begründung.

Meinungen verhindern, so der Hermeneutiker Hans-Georg Gadamer (1900–2002), dass man Fragen stellt und mehr erfährt. Sie haben die Tendenz, sich schnell auszubreiten. Das griechische Wort für Meinung, „Doxa“, bedeutet auch „Beschluss“: Meinungen werden meist kollektiv gebildet und von vielen als Wahrheit angesehen. Dazu gehört auch allerlei Unfug wie die Meinungen, die Erde sei flach oder 6.000 Jahre alt (Kreationismus).

Die Frage hier ist: Wie kann man sich bewusst werden, dass man etwas nicht weiß, und wie fängt man an, Fragen zu stellen, um Wissen zu erlangen?

„Plato zeigt uns in seinen unvergesslichen Darstellungen, worin die Schwierigkeit besteht zu wissen, was man nicht weiß. Es ist die Macht der Meinung, gegen die das Eingeständnis des Nichtwissens so schwer erreichbar ist. Meinung ist das, was das Fragen niederhält. Ihr wohnt eine eigentümliche Tendenz zur Verbreitung ein. Sie möchte stets die allgemeine Meinung sein, wie ja auch das Wort, das die Griechen für Meinung haben, Doxa, zugleich den Beschluss bedeutet, zu dem sich die Allgemeinheit in der Ratsversammlung erhebt.“

H. G. Gadamer: Die Aktualität des Schönen: Kunst als Spiel, Symbol und Fest Stuttgart 1977
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Das Werk fasst Gadamers Vorlesungen von 1974 zusammen. (Anzeige)

Platon zeigt durch die Figur des Sokrates, dass das Bewusstsein der eigenen Unwissenheit der Schlüssel zur Suche nach Wissen ist. Sokrates bezeichnet den als weisen Mann, der weiß, dass er nichts weiß. 

Diese Sokratische Ironie ist nicht nur ein rhetorischer Trick, sondern eine philosophische Haltung: Erst wenn man sich bewusst ist, dass man etwas nicht weiß, ist man bereit, nach Antworten zu suchen. Wer glaubt (!), bereits zu wissen, hört auf, Fragen zu stellen.

Und hier beginnen die Probleme mit dem (religiösen) Glauben. Denn dieser verlangt (insbesondere bei den abrahamitischen Religionen) nichts weniger als die Aufgabe des Fragens und das Glauben an Dogmen

Nicht nur ohne Beweise und methodisches Vorgehen, sondern oft genug in direktem Widerspruch zu wissenschaftlichen, empirischen Erkenntnissen.

Beispiel: Wir wissen, dass es keine globale Flut gegeben haben kann und dass Tierarten nicht jeweils von einem Ur-Pärchen abstammen können.

Glauben

Das deutsche Wort „glauben“ stammt vom althochdeutschen „gilouben“ ab, das wiederum vom indogermanischen Stamm *„leubh-“ („lieben“, „wertschätzen“, „vertrauen“) abgeleitet ist. Diese Wurzel findet sich übrigens auch im englischen Wort „believe“.

„Glauben“ bedeutet, subjektiv von etwas überzeugt zu sein, ohne absolute Gewissheit zu haben. Glauben geht einen Schritt weiter als meinen: Die Überzeugung ist fester. Der Glaube stellt eine tiefere emotionale oder persönliche Überzeugung vor, als die Meinung.

Im religiösen Sinne bezeichnet Glauben eine Überzeugung, die über eine rationale Beweisführung hinausgeht und sich auf Vertrauen in übernatürliche Wahrheiten stützt. Das „Meinen“ bleibt hingegen eher im Bereich subjektiver, aber alltäglicher Einschätzungen: „Ich meine, dass es heute regnen könnte.“

Glauben Atheisten an die Wissenschaft?

Atheisten müssen sich oft vorwerfen lassen, Wissenschaft sei ihre Religion oder sie „glaubten“ im selben Sinn an die Wissenschaft, wie Gläubige eben an Gott glaubten (wenn ihnen nicht gerade vorgeworfen wird, sie würden an „nichts“ glauben).

Ich halte das für kein besonders geschicktes Argument, weil es impliziert, der „Glaube an die Wissenschaft“ sei ebenso unbegründet, wie der Glaube an Gott, womit man letztendlich eingesteht, dass es keinen Grund gibt, an Gott zu glauben.

Zudem beruht der Vorwurf auf einem Missverständnis der Begriffe Glauben und Wissen sowie des wissenschaftlichen Ansatzes. Wissenschaftler „glauben“ nicht an Theorien im dogmatischen Sinn, sondern akzeptieren sie auf Basis von Beweisen, die immer weiter geprüft und hinterfragt werden.

Entsprechend sind wissenschaftliche Erkenntnisse nicht unveränderlich; sie werden ständig getestet und verbessert, wenn neue Daten auftauchen. Wissenschaftler „glauben“ nicht an Theorien, sondern akzeptieren sie nur solange, bis neue Erkenntnisse sie widerlegen.

Glauben ist nicht gleich glauben

Speziell im Deutschen kommt die Schwierigkeit hinzu, dass sowohl das Verb „glauben“ als auch das Hauptwort „Glaube“ unterschiedliche Bedeutungen haben können, deren Nuancierung nur selten bewusst gemacht wird. 

Der Duden identifiziert bei „glauben“ sechs Bedeutungen: 

  1. für möglich und wahrscheinlich halten, annehmen; meinen
    (Beispiel: „sie glaubte sich zu erinnern“),
  2. fälschlich glauben, für jemanden oder etwas halten; wähnen
    (Beispiel: „ich glaubte mich im Recht“),
  3. für wahr, richtig, glaubwürdig halten; gefühlsmäßig von der Richtigkeit einer Sache oder einer Aussage überzeugt sein
    (Beispiel: „sie glaubt jedes seiner Worte“),
  4. jemandem, einer Sache vertrauen, sich auf jemanden, etwas verlassen
    (Beispiel: „an das Gute [im Menschen] glauben“),
  5. vom Glauben erfüllt sein, gläubig sein
    (Beispiel: „fest, unbeirrbar glauben“) und
  6. in seinem Glauben von der Existenz einer Person oder Sache überzeugt sein, etwas für wahr, wirklich halten
    (Beispiel: „an Gott, an die Auferstehung glauben“). 

Das führt zu sehr viel Ungenauigkeiten, denn manche Argumente zwischen Atheisten und Gläubigen verwischen die Konturen dieser Begriffe bewusst. 

Der theistische Vorwurf, dass Atheisten in derselben Weise an die Aussagen der Wissenschaft „glaubten“, wie zum Beispiel ein Christ an die Existenz von Jesus, vermischt die Bedeutungen.

Wissen

Wissen ist eine gerechtfertigte, wahre Überzeugung (englisch: justified true belief). Im philosophischen Sinne muss das, was man weiß, nicht nur geglaubt, sondern auch bewiesen und wahr sein.

Die Definition lässt sich bis Platon zurückführen, der zwischen Wissen (episteme, ἐπιστήμη) und Meinung/Glaube (doxa, δόξα) unterschied.

Wissen stützt sich auf überprüfbare Beweise, logische Argumentation und oft auf empirische Daten. Es erfordert eine objektive Grundlage und setzt voraus, dass man überzeugende Belege für die Richtigkeit einer Aussage hat.

Kann Glaube Wissen sein?

Und hier schließt sich der Kreis: Keine der Weltreligionen ist imstande, diese überzeugenden Belege für die Richtigkeit ihrer Aussagen zu erbringen. Die Gottesbeweise, seien es der kosmologische, ontologische, teleologische oder moralische, sind allesamt angreifbar.

Wissen geht über bloße Meinung oder Glauben hinaus, da Wissen auf Begründungen und Beweisen beruht, die den Wahrheitsgehalt einer Überzeugung stützen.

Die Überzeugung alleine reicht nicht. Nur glauben heißt: nicht wissen. Um als Wissen zu gelten, muss eine Überzeugung auch auf rationalen, nachvollziehbaren oder empirischen Gründen basieren. 

Damit scheiden die „Offenbarungen“ wie das Damaskuserlebnis des Paulus oder der brennende Dornbusch aus; sie erfüllen keinen dieser Ansprüche.

Namensoffenbarung Moses Jahwe
Ist die „Namensoffenbarung“ Jahwes nachvollziehbar? Oder rational?

Sämtliche anekdotischen Erweckungserlebnisse dieser Art scheiden damit aus: Sie sind nicht nachvollziehbar, oft genug auch nicht rational (zum Beispiel die Annahme, dass beten hilft).

„Glaubensgewissheiten“

Der in theologischen Texten nur allzu gern verwendete Begriff der „Glaubensgewissheiten“ leitet damit in die Irre. „Glaubensgewissheit“ meint die unerschütterliche Sicherheit, die Gläubige in Bezug auf theologische oder metaphysische Behauptungen haben.

Wenn es aber Überzeugungen gibt, die eine Person mit absoluter Sicherheit oder innerer Festigkeit hält, und das ohne empirische Beweise oder kritische Hinterfragung, ist dies eben kein Wissen und keine Gewissheit: Es ist nur Glauben. Sogar gegen besseres Wissen.

Wer nichts weiß, muss alles glauben.

Marie von Ebner-Eschenbach

Und hier endet meine Sympathie mit religiösem Glauben endgültig. Denn ein Glaubenssystem, das von seinen Anhängern verlangt, das Fragen einzustellen und unkritisch seine giftigen dogmatischen Pillen nicht nur zu schlucken, sondern seinen Kindern auch noch einzuflößen, hat in der modernen Welt keinen Platz.

Der Band versammelt die Gottesbeweise und die klassischen Einwände 
Über die Unglaubwürdigkeiten der christlichen Lehre 
Schöpfung ohne Gott: Evolution

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