Barnabasevangelium

Das Barnaba­sevangelium – kündigte Jesus Mohammed an?

Das sogenannte Barnabasevangelium ist ein apokrypher Text, der im christlichen Mainstream kaum eine Rolle spielt – und doch sorgt er immer wieder für hitzige Debatten. 

Besonders im islamischen Raum wird er gerne zitiert, um die theologische Überlegenheit des Islams zu untermauern, während christliche Theologen ihn weitgehend als Fälschung ablehnen. 

Die Frage, ob dieser Text eine authentische frühe Quelle oder eine spätmittelalterliche Konstruktion ist, bleibt ein Streitpunkt. 

Sicher ist: Das Barnabasevangelium ist kein harmloses Fragment der Kirchengeschichte – sondern ein explosiver Text im Spannungsfeld von Religion, Macht und Wahrheit.

Was ist das Barnabasevangelium?

Das Barnabasevangelium schildert das Leben Jesu – allerdings in einer Form, die mit dem neutestamentlichen Kanon kaum vereinbar ist.

Inhalt und zentrale Aussagen des Barnabas-Evangeliums

Jesus wird zwar als Prophet verehrt, aber ausdrücklich nicht als Sohn Gottes. 

Die Kreuzigung wird geleugnet: Stattdessen soll Judas Iskariot ans Kreuz geschlagen worden sein. 

Jesus selbst kündigt im Text mehrfach das Kommen Mohammeds an, was den Text für muslimische Apologeten besonders attraktiv macht. 

Der Text ist stark antitrinitarisch (leugnet also die „Dreifaltigkeit“ aus Jahwe, Jesus und heiligem Geist), legt großen Wert auf moralische Disziplin und stellt das Judentum deutlich positiver dar als die Evangelien.

Ist-Jesus-Gott
Gottvater, Heiliger Geist und Jesus als Teile der „Dreifaltigkeit“

Wer war Barnabas?

Barnabas war laut dem Neuen Testament ein früher Begleiter des Apostels Paulus und wird als bedeutender Missionar und „Apostel“ bezeichnet, obwohl er nicht zu den ursprünglichen Zwölf gehörte. 

Sein eigentlicher Name war Josef, der Beiname Barnabas bedeutet wohl „Sohn des Trostes“. 

Barnabasevangelium
So könnte der Autor des Barnabasevangeliums ausgesehen haben

In der Apostelgeschichte tritt er als Vermittler und Unterstützer auf, insbesondere in der Gemeinde von Antiochia. Historisch gesehen gibt es jedoch keinerlei Hinweise darauf, dass Barnabas selbst ein Evangelium verfasst hat. 

Das Barnabasevangelium wird zwar unter seinem Namen geführt, ist jedoch nach Meinung der meisten Historiker eine pseudepigraphe Schrift – also ein Text, der einem prominenten Namen zugeschrieben wurde, um ihm mehr Autorität zu verleihen. 

Barnabasevangelium
Das Grab des Barnabas auf Zypern (Bild: Ansgar Bovet, Wikicommons/CC BY 3.0)

Wer Barnabas wirklich war, verliert sich in den Nebeln der Frühgeschichte des Christentums.

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Unterschiede des Barnabasevangeliums zu den kanonischen Evangelien

Die Unterschiede zu den vier kanonischen Evangelien sind drastisch: 

  • keine Jungfrauengeburt
  • keine Gottessohnschaft, 
  • kein Erlösungstod, 
  • Beschneidung wird gefordert, 
  • Judas statt Jesus am Kreuz, 
  • Paulus als Fälscher. 

Den letzten Punkt kennen wir schon von Detering; allerdings aus völlig anderer Perspektive. 

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Stattdessen begegnet uns ein Jesus, der sich selbst als Mensch sieht, der gegen Götzendienst predigt und Mohammed als letzten Gesandten ankündigt. 

Die Theologie erinnert in vielen Punkten an den Koran – ein Umstand, der sowohl fasziniert als auch irritiert. Wer auf eine harmonische Koexistenz hofft, wird hier enttäuscht: Das Barnabasevangelium stellt den christlichen Kanon nicht in Frage, sondern auf den Kopf.

Ursprung und Überlieferung des Barnabasevangeliums

Das Barnabasevangelium ist in zwei Hauptfassungen überliefert: einer italienischen und einer spanischen.

Barnabas-Evangelium
Die Herausgeber dieser Ausgabe sind von der Echtheit des Barnabas-Textes überzeugt (Anzeige)

Entstehungszeit und Sprachfassungen

Beide stammen nicht aus der Antike, sondern aus dem späten Mittelalter, vermutlich dem 16. Jahrhundert. 

Die ältesten erhaltenen Manuskripte datieren auf diese Zeit – ein deutliches Indiz gegen eine frühe, authentische Herkunft. Es gibt keinerlei Hinweise, dass der Text in der altkirchlichen Literatur jemals zitiert, diskutiert oder überhaupt erwähnt wurde.

Die Barnabas-Handschriften auf Italienisch und Spanisch

Die bekannteste Handschrift ist ein italienischer Text, der heute in Wien liegt. Eine ältere spanische Fassung ist verloren, wird aber in einem Bericht aus dem 18. Jahrhundert erwähnt. 

Stilistisch und inhaltlich sind beide Versionen eng verwandt, enthalten aber kleinere Abweichungen. Die Sprache, der Erzählstil und viele der historischen Details deuten darauf hin, dass es sich um ein Produkt der islamisch-christlichen Auseinandersetzung in Europa handelt – möglicherweise im Umfeld maurischer Konvertiten entstanden.

Wer war der mutmaßliche Autor?

Der Autor des Barnabasevangeliums bleibt unbekannt. 

Manche vermuten einen muslimischen Konvertiten, andere einen christlichen Dissidenten mit islamfreundlicher Tendenz. 

Barnabasevangelium
Detail des Altarbildes „Heiliger Barnabas“ von Sandro Botticelli, um 1490

Auffällig ist der polemische Ton gegenüber der kirchlichen Lehre, insbesondere gegenüber der Trinität und der Kreuzestheologie. Auch die positive Darstellung des Islams – obwohl der Text formal noch vor Mohammed spielt – legt nahe, dass der Verfasser retrospektiv islamische Theologie in die Zeit Jesu projiziert hat. Ein theologisches Täuschungsmanöver? Gut möglich.

Theologische Bedeutung und Kontroversen

Viele Muslime sehen im Barnabasevangelium eine Art „verlorenes Original“, das angeblich die Wahrheit über Jesus enthält – bevor die christliche Kirche sie durch den Kanon verfälschte.

Warum das Barnabasevangelium im Islam Beachtung findet

Der Text bestätigt zentrale islamische Lehren: Jesus ist ein Prophet, nicht Gottes Sohn; er wurde nicht gekreuzigt; Mohammed ist der letzte Gesandte. 

Damit passt das Barnabasevangelium perfekt ins islamische Narrativ und wird in apologetischer Literatur gern zitiert – oft ohne kritische Prüfung seiner Entstehungsgeschichte.

Ablehnung durch christliche Kirchen

Für christliche Theologen ist das Barnabasevangelium eine glatte Fälschung – eine mittelalterliche Polemik, die mit dem historischen Jesus nichts zu tun hat. 

Die theologische Stoßrichtung gilt als durchschaubar, die sprachlichen und historischen Anachronismen als entlarvend. 

Kein Kirchenvater, kein Konzil, kein Theologe der Antike erwähnt diesen Text – was bei einem angeblich so „explosiven“ Dokument doch sehr auffällt. Die offizielle Haltung lautet daher: kein Evangelium, sondern religiöse Propaganda.

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Islamische Apologetik und christliche Gegenargumente

Islamische Autoren nutzen das Barnabasevangelium oft, um die Widersprüche der christlichen Theologie aufzuzeigen. 

Dass der Text selbst voller Unstimmigkeiten steckt, wird dabei gern übersehen. Christliche Apologeten wiederum weisen auf die späte Entstehung und die theologische Künstlichkeit hin. 

Der Streit wird selten auf wissenschaftlichem Niveau geführt – meist geht es um Deutungshoheit. Wer den Text für echt hält, findet Bestätigung; wer ihn ablehnt, sieht darin ein durchsichtiges Manöver.

Historische Einordnung des Barnabasevangeliums

Die meisten Historiker gehen heute davon aus, dass das Barnabasevangelium im 16. Jahrhundert entstand – möglicherweise in Spanien oder Italien.

Hinweise auf spätere Fälschung

Es enthält zahlreiche Hinweise auf spätmittelalterliche Theologie, islamische Terminologie und sogar geografische Fehler. 

So ist etwa von Weinbergen in Nazareth die Rede – obwohl es dort historisch keine gab. Auch das Vokabular und der Stil passen nicht zu frühchristlichen Texten, sondern eher zu spätmittelalterlicher Polemiksliteratur.

Anachronismen und theologische Unstimmigkeiten

Besonders auffällig sind die zahlreichen Anachronismen. Das Barnabasevangelium erwähnt Begriffe, Institutionen und religiöse Konzepte, die zur Zeit Jesu schlicht nicht existierten. 

Auch die Vorstellung, Jesus habe Mohammed namentlich angekündigt, widerspricht sämtlichen bekannten historischen Quellen. 

Theologisch wirkt der Text wie ein Zwitterwesen: Zu christlich für einen islamischen Text, zu islamisch für einen christlichen – was seine Authentizität zusätzlich untergräbt.

Stellung der Wissenschaft

Die Mehrheit der Bibelwissenschaftler lehnt das Barnabasevangelium als historische Quelle ab

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David Friedrich Strauß (1808–74) ging es um die Überwindung der unkritischen Bibelrezeption hin zu einer den wissenschaftlichen Standards genügenden Lesart. (Anzeige)

Es gilt als späte Konstruktion mit apologetischer Intention – interessant für die Religionsgeschichte, aber wertlos für die Erforschung des historischen Jesus. 

Die wissenschaftliche Einschätzung ist eindeutig: Das Barnabasevangelium ist weder antik noch evangelisch – sondern ein später Versuch, theologische Konflikte textlich zu untermauern.

Was das Barnabasevangelium wirklich ist – und was nicht

Das Barnabasevangelium ist kein verschollenes Evangelium aus dem 1. Jahrhundert und auch kein „verdrängter“ Text der frühen Kirche. 

Es ist eine späte, ideologisch aufgeladene Konstruktion – wahrscheinlich von einem Autor, der gezielt islamische Theologie in die Figur Jesu projizieren wollte. Es ist kein spirituelles Dokument, sondern ein religiöses Pamphlet – spannend, aber nicht heilig.

Warum es dennoch religiöse Debatten prägt

Trotz seiner fragwürdigen Herkunft bleibt das Barnabasevangelium ein Dauerbrenner in interreligiösen Diskussionen. 

Es zeigt exemplarisch, wie stark der Wunsch nach Bestätigung der eigenen Wahrheit Texte überhöht – und wie dünn die Grenze zwischen Glaube, Polemik und Fälschung sein kann. Nicht, weil es wahr ist, sondern weil es gebraucht wird, bleibt es wirksam. Und ist damit ein guter Spiegel religiöser Bedürfnisse insgesamt.

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