Circumcision Jesu (Beschneidung des Herrn)

Die Beschneidung des Herrn: eine katholische Penis-Posse

Wer an den 1. Januar denkt, hat Neujahr, Feuerwerk und vielleicht Aspirin im Sinn. An die „Beschneidung des Herrn“ denkt heute kaum noch jemand. Dabei war die Circumcisio Domini, wie die Beschneidung des Baby-Jesus auf Lateinisch heißt, über Jahrhunderte ein fester Bestandteil des christlichen Kalenders. Die Zählweise, das Jahr nach diesem Tag zu beginnen (und nicht etwa nach Ostern), wird deshalb auch Circumcisionsstil genannt.

Als Jude wurde Jesus nach acht Tagen beschnitten. Juden beschneiden ihre Söhne traditionell am achten Tag nach der Geburt als Zeichen des Bundes mit Gott, eine Zeremonie namens „Brit Mila“, die den Eintritt in die jüdische Gemeinschaft markiert. Zudem erhalten jüdische Knaben an diesem Tag ihren Namen. So auch Jesus (der nicht etwa Immanuel heißt).

1969 fand die Beschneidung des Herrn in der „Grundordnung des Kirchenjahres und des neuen Römischen Generalkalenders“ – einer Art Kalender der liturgischen Feiern, Feiertage und Gedenktage der katholischen Kirche –  keine Berücksichtigung mehr. 

Feiertage im Überblick
Kirchenjahr im Überblick

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Am 1. Januar feiern Katholiken das „Hochfest der Gottesmutter Maria“ anstelle der Jesus-Beschneidung (Quelle) als Oktavtag von Weihnachten (Oktavtag ist immer der achte Tag nach einem „Hochfest“).

Dass dieses Fest heute weitgehend verdrängt ist, sagt einerseits aus, wie wenig historische Bedeutung es letztendlich hatte. Zweitens aber sieht man hier auch das Unbehagen der Kirche mit der eigenen Theologiegeschichte.

Biblischer Befund der Beschneidung Jesu

Wie so oft bei christlichen Traditionen ist die Grundlage in den Schriften erstaunlich dünn. Ein einziger Evangelist liefert den nötigen Stoff für die bizarre Geschichte der Beschneidung Jesu. 

Außer Lukas ist die Beschneidung des Herrn für keinen der Evangelisten ein Thema, obwohl sie ja sonst gerne voneinander abschrieben.

Bizarr ist das Ritual der Beschneidung an und für sich schon. Was danach aber mit der angeblichen Herrenreliquie des „Präputiums“ sich an phantastischen Verflechtungen und Räuberpistolen entspinnt, spottet jeder Beschreibung. Auf dem Höhepunkt der Idiotie hält man gar die Saturnringe für die „aufgefahrene“ Vorhaut Jesu. 

1983 verschwindet die angeblich „echte“ Vorhaut (es gibt mehrere) unter ungeklärten Umständen. Bis heute wird nach ihr geforscht, allerhand Verschwörungstheorien machen die Runde, die Kirche hätte das ihr peinlich gewordene Relikt selber beseitigt. Noch 2014 machte sich für eine Arte-Doku ein Journalist auf, um die verschwundene Vorhaut zu lokalisieren. Dazu gleich noch mehr.

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Beschneidung im Judentum: Bund, Gesetz und Identität

Im Judentum ist die Beschneidung kein medizinisches Detail, sondern ein zentrales Bundeszeichen. Sie markiert die Zugehörigkeit zum Volk Israel und geht auf den Bund Gottes mit Abraham zurück. 

Am achten Tag wird der männliche Säugling beschnitten – ein Akt religiöser Identitätsstiftung, nicht spiritueller Symbolik. Wer beschnitten ist, gehört dazu. Punkt. Jesus gehörte dazu, musste also ebenfalls beschnitten werden. Punkt.

Jesus als jüdisches Kind im Lukasevangelium

Lukas 2,21 berichtet nüchtern, dass Jesus am achten Tag beschnitten und dabei benannt wurde. Keine Engel, keine Wunder, kein theologischer Kommentar. 

Jesus erscheint hier schlicht als jüdisches Kind, eingebettet in das religiöse Alltagsleben seiner Zeit. Für Lukas ist das selbstverständlich – und gerade deshalb theologisch brisant für spätere Christen.

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In diesem Gemälde von Max Liebermann diskutiert Jesus im Knabenalter mit den Priestern

Matthäus, Markus und Johannes verlieren kein Wort über die Beschneidung. 

„Circumcisio Domini“: vom Ritual zum Hochfest

Dass aus dieser kurzen Notiz ein Hochfest wurde, ist Kirchenpolitik. Liturgie schafft Bedeutung – auch dort, wo der Text selbst kaum Anlass dazu gibt.

Bereits in der Spätantike wurde der 1. Januar als Fest der Beschneidung Jesu etabliert. Acht Tage nach Weihnachten passte es liturgisch perfekt.

Theologischer Spagat: Gesetzestreue vs. paulinische Theologie

Paulus hatte die Beschneidung für Christen zwar faktisch abgeschafft: „Nicht die Beschneidung zählt, sondern der Glaube.“ Gleichzeitig verehrte man einen Messias, der genau dieses Ritual vollzogen hatte. Das wollte also nicht so recht zusammenpassen. Wie so oft bei Paulus. 

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Das Ergebnis war ein Dauer-Spagat zwischen jüdischer Herkunft und christlicher Abgrenzung – elegant gelöst wurde er nie.

Warum Christen die Beschneidung ablehnen, Jesus sie aber „brauchte“

Theologisch argumentierte man, Jesus habe das Gesetz „erfüllt“, um es später zu „überwinden“. Klassischer theologischer Mumbo-Jumbo. Hauptsache, es klingt irgendwie bedeutungsvoll. 

Das war (und ist) ja eines der Grundprobleme des Christentums: Einerseits würde man sich gerne an Jesus orientieren, andererseits hat man aber beschlossen, die grausamen, tribalistischen und dummen Passagen des Alten Testaments mit zu übernehmen. Das gab schon bei der Kanonisierung der Bibel im zweiten Jahrhundert Streit. 

So vertrat Marcion im Jahr 144 die Ansicht, dass der Gott des Alten Testaments (ein strenger „Schöpfergott“) nichts mit dem gütigen Gott Jesu zu tun habe. Er wollte das AT komplett aus dem christlichen Gebrauch entfernen und nur ein gekürztes Lukasevangelium sowie einige Paulusbriefe gelten lassen. Die Mehrheitskirche lehnte dies radikal ab. Marcion wurde um 144 n. Chr. in Rom als Ketzer exkommuniziert.

Damit bekannte sich die frühe Kirche offiziell dazu, dass das Christentum ohne seine jüdischen Wurzeln und die Schriften Israels nicht verstanden werden kann. In der Synode von Rom (382) unter Papst Damasus I. wurde die formal bestätigt, etwas später noch einmal in den Synoden von Hippo (393) und Karthago (397): Diese regionalen Kirchenversammlungen bestätigten den heute bekannten Umfang der christlichen Bibel.

Praktisch bedeutete das für Jesu Beschneidung: Er durfte beschnitten sein, Christen aber bitte nicht. Eine Sonderregelung für den Erlöser – auch das ein bekanntes Muster.

Das heilige Präputium – eine Vorhaut auf Reisen

Wenn es Jesus wirklich gab und wenn Jesus wirklich beschnitten wurde, stellte sich zwangsläufig die Frage: Wo ist eigentlich das entfernte Stück Haut geblieben? 

Das fragte man sich auch in der Antike und im Mittelalter. 

  • War sie vergraben worden, wie der jüdische Ritus es eigentlich vorsieht? 
  • War sie in Öl konserviert worden, wie eine Legende behauptete? 
  • War sie mit Jesus bei der Himmelfahrt auf magische Weise entrückt worden? 
  • Oder befand sie sich doch noch in irdischen Gefilden?
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Spätestens hier verlässt die Geschichte den Boden der Vernunft. Es passiert so viel, dass ich es hier nur stichpunktartig zusammenfasse. 

  • Ab dem Frühmittelalter tauchen Berichte auf, dass die Vorhaut (Präputium) als Reliquie existiere. Sie gilt als einzigartige Körperreliquie Jesu, da er laut christlicher Lehre leiblich in den Himmel aufgefahren sei. Da blieb ja sonst außer Haaren nichts übrig (von den Milchzähnen und der Nabelschnur abgesehen; hier gibt es natürlich auch Reliquien).
  • Es wurden im Lauf der Jahrhunderte immer mehr Exemplare des „Sanctum Präputium”, alle natürlich mit einer eigenen Legende. Die meisten haben mit Karl dem Großen zu tun.
  • Im Hochmittelalter kursieren gleichzeitig mehrere „echte“ Heilige Vorhäute in Europa – u. a. in Rom (Lateran), Chartres, Antwerpen, Santiago de Compostela und Calcata.
  • Bei den Herkunftserzählungen ist von der Übergabe an Maria Magdalena bis zur Überreichung durch Engel an Karl den Großen alles dabei. Historische Belege fehlen natürlich vollständig.
  • Die Mehrzahl der Vorhäute konnte nie erklärt werden. 
  • Es wurde spekuliert, die Vorhaut sei bei der Himmelfahrt Jesu getrennt in den Himmel aufgefahren oder in einen Stern verwandelt worden. 
  • Der Gelehrte Leo Allatius verstieg sich im 17. Jahrhundert sogar zu der Behauptung, es handele sich bei den Ringen des Saturn um die Vorhaut Jesu (was er aber nicht veröffentlichte, man fand die Theorie aber in seinen Aufzeichnungen). 
  • Katharina von Siena beschrieb visionäre, teils erotisch aufgeladene Erfahrungen mit der Heiligen Vorhaut, die sie als „unsichtbaren Ring“ um ihren Finger trug, während die sich ekstatisch herumwälzte. Dass sie die einzige war, die die Vorhaut sehen konnte, schien – wie schon bei ihren Stigmata – niemanden zu stören.
  • Mit der Neuzeit wuchs das Unbehagen der Kirche beim Vorhautrummel. Die Reliquie wird zunehmend als lächerlich empfunden, aber nie offiziell widerrufen.
  • 1900 verbietet der Vatikan jede öffentliche Diskussion über die Heilige Vorhaut unter Androhung der Exkommunikation. Das Problem wird nicht gelöst, sondern totgeschwiegen.
  • Alle einzelnen Präputien verschwinden auf die eine oder andere Weise. Die letzte bekannte Vorhaut-Reliquie in Calcata verschwindet 1983 spurlos. Ob Diebstahl, Versteck oder stillschweigende Entsorgung bleibt ungeklärt.

Liste der „Heiligen Präputien“

Nach heutigem Forschungsstand wurden mindestens 12 bis 18 angebliche „Heilige Vorhäute“ im Lauf der Geschichte beansprucht. Die Quellenlage ist teils widersprüchlich, weil manche Beschneidungs-Reliquien nur kurz auftauchen oder später stillschweigend „vergessen“ wurden. 

Jesus-Reliquien Präputium

Die folgende Liste umfasst alle bekannten Orte, an denen eine Heilige Vorhaut beansprucht oder tradiert wurde – unabhängig davon, wie kurzlebig oder dubios der Anspruch war:

  • Rom (Lateranbasilika)
    eine der frühesten und prestigeträchtigsten Zuschreibungen
  • Calcata (Italien)
    wohl die letzte öffentlich verehrte Vorhaut, verschwunden 1983
  • Chartres (Frankreich)
    Reliquie mit starkem Marienkult verknüpft
  • Antwerpen (Belgien)
  • Andechs (Deutschland)
  • Santiago de Compostela (Spanien)
  • Metz (Frankreich)
  • Besançon (Frankreich)
  • Langres (Frankreich)
  • Hildesheim (Deutschland)
  • Aachen (Deutschland) – zeitweise im Umfeld der Reichsreliquien Karls des Großen
  • Fécamp (Frankreich)
  • Coulombs (Frankreich)
  • Le Puy-en-Velay (Frankreich)
  • Conques (Frankreich)
  • Avignon (Frankreich) – im päpstlichen Umfeld
  • Bologna (Italien) – kurzzeitig erwähnt
  • Paris (verschiedene Kirchen, unklare Zuordnung)
Kloster Andechs_Heilige Beschneidung
Auch im bayerischen Kloster Andechs wurde im Mittelalter eine sogenannte „Heilige Beschneidung“ Christi verehrt 

Entstehung des Reliquienglaubens um Jesu Körperteile

Das Mittelalter hatte ein ausgeprägtes Interesse an greifbarer Heiligkeit. Knochen, Blut, Tränen – alles wurde gesammelt. 

Dass auch Jesu Vorhaut in diesen Kreis aufgenommen wurde, war nur folgerichtig. Körperlichkeit galt als Beweis der Inkarnation.

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Mittelalterliche Berichte, Wunder und Konkurrenz um das „Original“

Es wurden Wunder berichtet, Visionen empfangen und Prozessionen abgehalten. Mehrere Vorhäute, ein Messias – mathematisch unerquicklich, spirituell offenbar kein Problem. Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft, auch das fromme.

Theologische und historische Absurditäten rund um die Beschneidung Christi

An diesem Punkt wird aus Frömmigkeit Groteske. Nicht, weil Menschen glaubten – sondern weil sie aufhörten zu denken.

Wie viele Vorhäute kann ein Messias haben?

Die schlichte Frage entlarvt das ganze Konstrukt. Wenn mehrere Kirchen dieselbe Reliquie besitzen, ist mindestens eine – realistischer: sind alle – unecht. Das kennen wir schon von den Nägeln der Kreuzigung, Splittern vom heiligen Kreuz. Die Kirche reagierte traditionell mit Schweigen oder Mysterienrhetorik.

Jesus-Reliquien Heilige Lanze
Die „heilige Lanze“, mit der Jesus am Kreuz angeblich durchbohrt worden sein soll

Derweil ranken sich Legenden um die Penishaut. So wurde sie angeblich Papst Leo III. zum Geschenk gemacht – von Karl dem Großen, welcher sie natürlich von einem Engel erhalten haben soll. Das war im Jahr 800. Aufbewahrt wurde sie im Lateran in Rom. 

Rom wurde allerdings im Krieg der Liga von Cognac am 6. Mai 1527 von italienischen, spanischen und deutschen Söldnern geplündert. Ein Deutscher soll dabei die Vorhaut samt Reliquiar an sich genommen haben, geriet aber selbst im italienischen Calcata in Gefangenschaft, wo die Reliquie erst Jahrzehnte später wiederentdeckt wurde. Bis 1983 wurde sie dort aufbewahrt und auch regelmäßig in Prozessionen öffentlich verwendet. 

Eine 1112 in Antwerpen „aufgetauchte“ Vorhaut, die die Antwerper mit großer Frömmigkeit verehrten und sogar eine eigene Bruderschaft ins Leben riefen, verschwand um 1566 spurlos im reformatorischen Bildersturm.

Reliquienkritik aus moderner historischer Sicht

Historiker sehen im Präputiumskult ein Paradebeispiel mittelalterlicher Frömmigkeit, Machtpolitik und ökonomischer Interessen. Echtheitsnachweise fehlen vollständig. Was bleibt, ist eine kulturgeschichtliche Kuriosität und eine bizarre theologische Materialschlacht.

Abwertung der Beschneidung des Herrn in der Moderne

Heute ist das Fest weitgehend verschwunden. Und das ist kein Zufall, sondern eine stille Korrektur.

Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1900) wurde das Fest umbenannt, entschärft und faktisch entsorgt. Körpertheologie ist heikel geworden, jüdische Bezüge ebenso. Die Kirche hat gelernt, peinliche Themen leise zu vergessen. Es wurde sogar verboten, das Präputium zu erwähnen. 

Am Ende bleibt die „Beschneidung des Herrn“ ein Lehrstück darüber, wie religiöse Erzählungen wachsen, kippen und verschwinden. Es sind nicht immer nur neue Offenbarungen – es gibt auch kulturelles Unbehagen mit der eigenen Vergangenheit. Die Beschneidung des Herrn ist deshalb weniger ein Glaubensfest als ein Spiegel kirchlicher Geschichte – und ihrer Abgründe.

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