In meinem bayerischen Heimatort gehörten die „Heiligen Drei Könige“ ganz einfach zum Weihnachtsfest dazu. Als „Sternsinger“ klingelten am 6. Januar Jugendliche und Kinder an den Wohnungstüren, um – als „Weise aus dem Morgenland“ verkleidet, mit Kreide ein Segenszeichen auf die Haustüren zu malen.
Außerdem musste man die heiligen drei Könige dann auch bei der Krippe ergänzen, die bei uns wie jedes Jahr im Wohnzimmer aufgebaut war – das fand ich immer besonders cool, weil unsere holzgeschnitzten Figuren dann den Elefanten und das Kamel umfassten.

Zugleich war der Tag der Heiligen Drei Könige der Zeitpunkt, an dem man sich des mittlerweile halb abgenadelten und ganz ausgetrockneten Weihnachtsbaums zu entledigen gestattete.
Also: Es war auf jeden Fall immer was los am „Dreikönigstag“.
Die Weisen aus dem Morgenland: Drei Könige auf der Suche nach einem Säugling
Als Kind findet man das natürlich spannend. Nicht nur das ganze Brimborium um Weihnachten und Jesus – in Bayern ist es ja schließlich auch das „Christkind“, das die Geschenke bringt.
Sondern eben auch den ganzen Zauber mit den Heiligen Drei Königen: Die folgten einem Himmelszeichen (Stern), um dem ebenso himmlischen Kind Geschenke zu überreichen.

In jeder Hinsicht wird das himmlische Kind und dessen Messianität dadurch stark aufgewertet. Könige sind natürlich erwähnenswerte und wirkungsvolle Beglaubiger der ganzen Geschichte, das „versteht“ man auch als Kind schon.

Gab es diese „heiligen“ Könige wirklich?
Verliert man mit der kindlichen Unschuld auch die Scheu vor dem selbständigen Denken, fallen einem jedoch gleich einige Ungereimtheiten auf.
Nicht nur bei der ganzen Weihnachtsstory an sich – hier hält man ja die Kinder lange Zeit durch selektives Vorlesen aus der Bibel im Glauben, das würde schon alles ganz selbstverständlich seine Richtigkeit haben. Kinder sind nicht besonders quellenkritisch, und man verzichtet im Übrigen auch gerne darauf, Abweichungen und Widersprüche in der Bibel hervorzuheben.
Sondern auch bei den Drei Königen. Denn wer sich die Mühe macht, in den biblischen Text selbst hineinzublicken, stellt schnell fest: Die berühmten Herren, die jedes Jahr an Weihnachten durch Krippenspiele wanken, sind ein Paradebeispiel dafür, wie aus einem dünnen Text eine dicke Geschichte gesponnen wird – eine Kernkompetenz der Kirche.
Aus der charmanten Tradition wird eine bloße theologische Konstruktion, die nichts Belastbares über den angeblichen Besuch der angeblichen königlichen Delegation zu erbringen weiß.
Es zeigt sich zum Schluss eine Art religiöse PR-Kampagne mit den „Heiligen drei Königen“ als VIP-Testimonials. Es riecht von Ferne nach Weihrauch, nach Glanz, Gold und Instagram-tauglicher Folklore – aus der Nähe betrachtet löst sich die historische Substanz der morgenländischen Weisen aber schneller auf als Feengold am Morgen.
Biblischer Befund der Heiligen drei Könige
Doch der Reihe nach. Gehen wir zum Quelltext, und ja, es ist nur einer. Der biblische Befund ist damit recht überschaubar: Nur das Matthäus-Evangelium kennt diese Gestalten – und selbst dort bleiben die Angaben kümmerlich. Es wird von „Sterndeutern“ gesprochen.
Keine Namen, keine Anzahl, kein Königsstatus.
Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa geboren worden war, siehe, da kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.
Matthäus 2,1–2
Die Figuren tauchen kurz auf, überreichen Geschenke und verschwinden wieder im Dunkel der Geschichte.
Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her bis zu dem Ort, wo das Kind war; dort blieb er stehen. Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt. Sie gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria, seine Mutter; da fielen sie nieder und huldigten ihm. Dann holten sie ihre Schätze hervor und brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben dar. Weil ihnen aber im Traum geboten wurde, nicht zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg heim in ihr Land.
Matthäus 2,9–12
„Sterndeuter“ tauchen nur bei Matthäus auf
Weder Markus, Lukas noch Johannes wissen auch nur das Geringste von diesem Besuch – und das ist bemerkenswert: Wenn schon himmlische Delegationen an der Krippe aufschlagen, hätte ein zweiter Evangelist das wohl kaum übersehen.
Lukas, der sonst jeden Engel und jedes Geschehen rund um Jesu Geburt penibel notiert, kennt sie nicht.
Markus und Johannes kennen die Weisen aus dem Morgenland auch nicht. Das spricht stark dafür, dass wir es hier eher mit einem literarischen Kunstgriff als mit einem historischen Ereignis zu tun haben.
Die heiligen drei Könige waren weder heilig, noch drei, noch Könige
In Matthäus heißen sie „magoi“ – Magier oder Sterndeuter. Auf Englisch heißen sie entsprechend „biblical magi“. Sie werden weder als heilig, noch als königlich bezeichnet; auch ihre Zahl wird nicht angegeben.
Die Zahl drei wurde erst deutlich später (etwa 300 Jahre) hinzugedichtet, indem man sie von den drei Geschenken (Gold, Weihrauch, Myrrhe) abgeleitet hat.
Kaspar, Melchior und Balthasar?
Die Namen Kaspar, Melchior und Balthasar sind mittelalterliche Erfindungen (etwa 6. Jahrhundert). Manche Überlieferungen sprechen von zwölf „Magiern“, andere von elf.
Kurz: Was heute als Tradition felsenfest erscheint, ist das Ergebnis überlieferter Ausschmückungen.
Widersprüche zwischen Matthäus und Lukas
Die sogenannten synoptischen Evangelien (Markus, Lukas, Matthäus) ähneln sich ja oft, zeigen aber doch auch bemerkenswerte Unterschiede (siehe Beitrag zur Logienquelle).

So siedelt Matthäus Jesu Geburt in Bethlehem im Haus (!) der Eltern an und lässt die Familie anschließend nach Ägypten fliehen.
Herodes ist ihnen ja auf der Spur – obwohl sich (s. o.) die Sterndeuter redlich verweigert hatten, den Standort der „heiligen“ Familie zu verraten. Herodes lässt dann alle Knaben bis zwei Jahre töten. Mit dem Rechnen hatte er wohl so seine Schwierigkeiten.
Lukas dagegen kennt Stall, Krippe, Hirten (die wiederum fehlen bei Matthäus vollständig) und einen völlig anderen Reiseablauf. Zwei unabhängige Weihnachtswelten.
Historische und logische Plausibilität: der Mythos von den drei Weisen
Wer die politische Lage der damaligen Zeit kennt, merkt schnell: Der Besuch fremder „Könige“ – oder auch nur hochrangiger Gelehrter – hätte für Aufsehen gesorgt.
Kein Herrscher im römischen Einflussgebiet reist einfach unerkannt durch die Gegend. Und schon gar nicht, um einem unbekannten Baby in einer staubigen Provinz zu huldigen.
Warum „Könige“ kaum unbemerkt nach Bethlehem gereist wären
Könige oder Beamte persischer Herkunft wären sofort aufgefallen. Die römische Besatzungsmacht war paranoid genug, jede politische Bewegung zu registrieren.
Eine internationale Delegation hätte garantiert Spuren in anderen Quellen hinterlassen – tut sie aber nicht. Die römische Geschichtsschreibung kennt diese Besucher nicht, auch nicht der vor Ort schreibende Flavius Josephus.
Den historischen Kontext kennen wir von Flavius Josephus (37/38–100), der allerdings erst nach Jesus Tod geboren wurde [Klicke auf die Cover | Anzeige]
Was hat die Sterndeuter motiviert?
Dass gebildete Sterndeuter ausgerechnet einem völlig unbedeutenden jüdischen Neugeborenen huldigen, wirkt theologisch sinnvoll, historisch jedoch absurd.
Warum sollten sie einen künftigen Messias verehren, den sie nach eigenem Verständnis nicht einmal erwarten?
Dass allein Matthäus diese Geschichte erzählt, zeigt klar: Er nutzt die Episode als theologisches Statement. Die „Magier“ symbolisieren die Anerkennung Jesu durch die Heiden – ein klassischer literarischer Trick.
Der „Stern von Bethlehem“
Kaum ein Weihnachtsmotiv ist so romantisiert und gleichzeitig so wissenschaftlich zweifelhaft wie der Stern von Bethlehem. Mit Astronomie hat das Ganze nicht viel zu tun.
Große Konjunktion oder fromme Legende?
Populär ist die These, bei dem Stern habe es sich um eine Planetenkonjunktion gehandelt. Doch selbst beeindruckende Konjunktionen stehen nicht „über einem Haus“, noch bewegen sie sich zielgerichtet durch den Himmel.
Die astronomischen Erklärungen sind Versuche, ein theologisches Motiv naturwissenschaftlich herzurichten – meistens vergeblich. Eine mögliche Erklärung könnte eine sogenannte Große Konjunktion sein.
Bei der Konjunktion von Jupiter und Saturn kamen sich die Planeten in der fraglichen Zeit so nahe, dass sie von bestimmten Beobachtungspunkten – zum Beispiel Jerusalem – quasi übereinander lagen und zu einem vergleichsweise großen Objekt verschmolzen. Die Daten des sich in Abständen von ungefähr 20 Jahren wiederholenden Ereignisses passen allerdings nicht zum angeblichen Geburtsjahr Christi und der Jahreszeit.

(südliche Blickrichtung)
Dass der „Stern“ über dem Haus von Jesus, Maria und Josef stehen blieb, darf getrost bezweifelt werden. So etwas findet nicht statt – außer in poetischen Texten.
Der Satz ergibt astronomisch also überhaupt keinen Sinn – als bildhafte Erzählung eines „göttlichen Zeichens“ entfaltet er allerdings Wirkung.
Mögliche Deutungen der heiligen drei Könige
Wie so viele biblische Geschichten entfaltet sich die Bedeutung nicht in der historischen Überprüfbarkeit, sondern in der symbolischen Botschaft.
Einerseits will Matthäus die Jesus-Geschichte mit einigen Prophezeiungen aus dem Alten Testament vereinen.
Das schreibt er auch ganz deutlich: So muss der Geburtsort Betlehem sein, weil von der Stadt vorhergesagt wird, dass „aus dir ein Fürst hervorgehen“ werde.

Die Flucht nach Ägypten ist aus dem gleichen Grund notwendig: „Denn es sollte sich erfüllen, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.“
Und weil der Prophet Jeremia vorhergesagt hatte, dass „Rahel um ihre Kinder weint“, erfindet Matthäus die brutale und dazu noch sinnlose und dumme Wendung vom Tötungsbefehl des Herodes und dem anschließenden Infantizid.
Matthäus muss in seinem zweiten Kapitel einige „Träume“ der Beteiligten einbauen, die ihr ansonsten vollkommen unerklärliches Verhalten plausibel machen sollen. Die Sterndeuter träumen, sich besser nicht ein zweites Mal bei Herodes blicken zu lassen. Josef hat gleich dreimal Traumbesuch vom „Engel des Herrn“.
Matthäus will also zeigen, dass die Prophezieungen sich erfüllen. Er will aber auch verdeutlichen: Jesus wird von den Völkern der Welt anerkannt – und zwar schon als Säugling. Selbst von den Heidnischen.
Der Einfluss persischer Magiertraditionen
Die „magoi“ erinnern stark an zoroastrische Sterndeuter, die im persischen Raum hoch angesehen waren.

Ihre Aufnahme in die Jesusgeschichte könnte damit eine bewusste Öffnung des Christentums gegenüber heidnischen Kulturkreisen sein.
So bleibt am Ende die Erkenntnis: Die heiligen drei Könige sind eher ein Beispiel für kreative Erzählkunst als für historische Realität. Genau deshalb eignen sie sich besser für Kinderkrippen als für Geschichtsunterricht.

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