Religionsunterricht in Deutschland ist ein Sonderfall: Während der Staat für Neutralität im Glauben zuständig sein sollte, steht im Grundgesetz ausdrücklich, dass er den Religionsunterricht organisiert – in „gemeinsamer Angelegenheit“ mit den Kirchen.
Damit ist der schulische Raum bis heute kein wirklich säkularer Ort, sondern eine Bühne für religiöse Einflussnahme. Für viele wirkt das wie ein Anachronismus aus Zeiten, als Kirche und Staat noch enger verzahnt waren. Der Kaiser lässt grüßen.
Schulformen und Modelle
Entsprechend veraltet klingt es, wenn man von „Bekenntnisschulen“ und anderen Schularten spricht, die es in diesem Zusammenhang gibt. Als ob Grundschüler sich mit Theologie beschäftigten und daraufhin „Bekenntnisse“ ablegten.
Lies dazu auch: Warum gibt es Konfessionen, wenn die christliche Botschaft so eindeutig ist?
Folgende Schulformen gibt es.
Gemeinschaftsschulen
In Gemeinschaftsschulen wird der Religionsunterricht konfessionell getrennt angeboten. Klingt widersprüchlich? Es bedeutet, dass alle Schüler*innen dieselbe Schule als „Gemeinschaft“ besuchen.
Praktisch heißt das aber: katholische Kinder gehen in einen Raum, evangelische in einen anderen – eine theologischer Graben mitten durch den Klassenverband.

Bekenntnisschulen
Bekenntnisschulen – vor allem in katholischen Regionen – unterrichten Kinder in einer einheitlichen Glaubensrichtung. Auch nicht-katholische Kinder müssen hier im Zweifel am konfessionellen Unterricht teilnehmen oder mehr oder weniger komplizierte Befreiungswege gehen. Dass so etwas in einem modernen, pluralistischen Land existiert, wirkt wie ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert.
Freie Schulen und Ersatzschulen
Freie Schulen haben mehr Spielraum, aber auch sie sind oft kirchlich getragen. Gerade bei katholischen oder evangelischen Privatschulen ist Religion fester Bestandteil des Curriculums – häufig mit einer deutlichen Schlagseite in Richtung Erziehung zum „rechten Glauben“. Da gibt es Morgengebete, Kindergottesdienste, Andachten und so weiter.

Religionsunterricht im Grundgesetz
Die Besonderheit in Deutschland ist: Der Religionsunterricht ist im Artikel 7 des Grundgesetzes festgeschrieben.
Damit hat man dem Religionsunterricht eine einzigartige Sonderstellung im Bildungswesen verschafft.
Das lässt sich mit der Entstehungszeit des Grundgesetzes vielleicht einigermaßen erklären. Zu seiner Entstehung in der Nachkriegszeit war der weit überwiegende Großteil der überlebenden Deutschen einer der beiden großen christlichen Konfessionen angehörig.
Heute ist das anders, und die Konfessionslosen bilden mittlerweile die größte Einzelgruppe bei der Religionszugehörigkeit. Dennoch wird der staatlich geförderte Religionsunterricht durch seine Zementierung im GG uns noch auf lange Sicht erhalten bleiben.

Seit wann ist Religionsunterricht im Grundgesetz festgeschrieben?
Seit 1949 steht der Religionsunterricht im Grundgesetz. In Artikel 7 wird er ausdrücklich als ordentliches Lehrfach garantiert. Damit ist Religion eines der ganz wenigen Schulfächer, das Verfassungsrang hat – Mathematik hat das nicht, Ethik auch nicht. Nicht mal Deutsch.
Was ist eine „gemeinsame Angelegenheit“ von Staat und Kirche?
Der Religionsunterricht ist keine reine Staatsaufgabe: Er wird gemeinsam mit den Kirchen organisiert. Konkret heißt das: Der Staat zahlt die Lehrer, die Kirche bestimmt den Inhalt. Eine Art Bildungsprivileg, von dem keine andere Weltanschauungsgemeinschaft in diesem Maße profitiert.
„Gemeinsame Angelegenheit“ von Staat und Kirche ist ein rechtlicher Begriff aus dem deutschen Grundgesetz, genauer aus Artikel 7 Absatz 3 GG. Dort heißt es:
Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Art. 7, Abs. 3

Finanzierung und Einfluss
Der deutsche Staat organisiert den Religionsunterricht, stellt die Lehrer ein und sorgt für die schulische Infrastruktur. Die Kirchen (oder andere Religionsgemeinschaften) bestimmen aber die inhaltlichen Leitlinien und geben an, was „richtiger Glaube“ ist. Der Unterricht ist also ein Mischwesen: staatlich finanziert und verwaltet, aber kirchlich geprägt.
Wer den Religionsunterricht bezahlt? Du!
Bezahlen muss das der Steuerzahler, also du! Lehrer für Religion sind ganz normale verbeamtete Staatsdiener, deren Ausbildung, Gehalt und Pension aus öffentlichen Kassen kommen.
Kritiker sehen darin ein Überbleibsel aus Zeiten, in denen Kirche und Staat enger verflochten waren. Praktisch bedeutet es, dass Steuergelder in ein Fach fließen, das weltanschaulich parteiisch ist – und damit in einer pluralistischen Gesellschaft zunehmend umstritten.

Warum Religionsunterricht eine versteckte Kirchenfinanzierung ist
Offiziell fließt kein Geld direkt an die Kirchen, praktisch profitieren sie enorm: Sie bestimmen, wer unterrichten darf, und sichern sich über das Fach eine dauerhafte Präsenz im Klassenzimmer. Religion wird so durch staatliche Strukturen abgesichert – ein Umweg, um kirchlichen Einfluss aufrechtzuerhalten.

Aus Schülersicht
Gehst du noch zur Schule? Dann interessiert dich wahrscheinlich am meisten, ob du am Religionsunterricht teilnehmen musst.
Abhängen tut das von zwei Faktoren: deinem Alter und deinen Eltern.
Muss ich am Religionsunterricht teilnehmen?
Formal besteht Anwesenheitspflicht, aber es gibt die Möglichkeit, sich abzumelden. Für Kinder unter 14 entscheiden die Eltern, ab 14 dürfen die Jugendlichen selbst wählen.
Doch in der Praxis ist der Ausstieg oft mit Druck verbunden: Niemand will als „der einzige, der nicht dabei ist“ im Klassenverband auffallen. Es kann auch andere, praktische Gründe geben: Die Religionslehrerin ist halt nett, und der Lebenskunde-Lehrer ist knurrig. Kinder merken sowas.
Möglichkeiten und Hürden für den Ethikunterricht
Wo es Ethikunterricht gibt, ist das eine Alternative. Doch nicht jedes Bundesland bietet Ethik flächendeckend an – oft ist es nur ein Notbehelf für „Abmeldungen“. Das macht deutlich, dass der Staat religiöse Inhalte weiterhin als Standard sieht, während säkulare Alternativen erst mühsam erkämpft werden müssen.
Bundesländer im Vergleich
Berlin: Ethik für alle, Religion/Lebenskunde als Wahlfach
Berlin gilt hier als Vorbild, man sollte aber genau hinsehen. Seit 2006 ist Ethik für alle verpflichtend, Religion nur Wahlfach. Damit wird eine gemeinsame Wertebasis geschaffen, ohne dass konfessionelle Spaltung im Klassenzimmer entsteht. Das gilt allerdings nur ab der Jahrgangsstufe 7.
In der Grundschule (geht in Berlin bis zur 6. Klasse) werden Religion und Lebenskunde angeboten. Der Unterricht ist nicht verpflichtend – das weiß aber so gut wie niemand. Fast alle Eltern, die ich kenne, sind davon überzeugt, dass ihre Kinder eines der beiden Fächer belegen müssen.
Lebenskundeunterricht ist ein Fach ohne Zensuren, das vom Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg KdöR als Träger angeboten wird..
Bayern: Bekenntnisorientierter Religionsunterricht als Regel
In Bayern ist die Situation fast das Gegenteil: Hier ist konfessioneller Unterricht Standard, mit großem Einfluss der Kirchen.
Ethik ist nur eine Ersatzlösung für diejenigen, die sich vom Religionsunterricht abmelden – was im streng katholischen Umfeld nicht immer einfach ist. Natürlich wird hier auch streng getrennt zwischen katholischen und evangelischen Kindern.

Kritik am Religionsunterricht
Der Religionsunterricht in Deutschland ist seit Jahrzehnten ein Streitpunkt. Kritiker werfen ihm vor, kein neutrales Schulfach zu sein, sondern eine privilegierte Plattform für einzelne Glaubensrichtungen.
Während Mathematik oder Geschichte Fakten vermitteln sollen, basiert der Religionsunterricht auf Glaubensannahmen, die weder überprüfbar noch allgemeinverbindlich sind.
In einem säkularen Staat wirkt das wie ein Fremdkörper, zumal die Inhalte von den Kirchen bestimmt werden, während die Finanzierung – Lehrergehälter, Räume, Materialien – durch den Staat erfolgt.
Warum Religionsunterricht Indoktrination ist
Kritiker bemängeln also, dass es im Religionsunterricht nicht um neutrale Wissensvermittlung geht, sondern um die Festigung eines bestimmten Glaubens. Die vermeintliche „Bildung“ ist in Wahrheit Missionierung mit staatlicher Legitimation.
Besonders problematisch ist die Ausgrenzung: Wer nicht zum jeweiligen Bekenntnis gehört, wird faktisch ausgeschlossen oder muss in Parallelfächer wie Ethik wechseln. Das schafft künstliche Grenzen zwischen Kindern und Jugendlichen.
Zudem spiegelt der Unterricht oft nicht die religiöse Vielfalt wider – kleine oder nicht-christliche Glaubensgemeinschaften haben kaum Einfluss, während Katholiken und Protestanten dominieren.
Argumente für eine Abschaffung des Religionsunterrichts
Ein starkes Argument für die Abschaffung des Religionsunterrichts ist die schlichte Realität: Immer weniger Menschen gehören überhaupt einer Kirche an. Trotzdem bleibt das Fach ein staatlich finanziertes Privileg zweier Institutionen, die rasant an gesellschaftlicher Relevanz verlieren. Warum soll ein konfessionelles Fach an Schulen weiterbestehen, wenn es die Lebenswirklichkeit der Mehrheit gar nicht mehr widerspiegelt?
Ein weiterer Punkt ist die Neutralitätspflicht des Staates. In einem säkularen Rechtsstaat ist es kaum haltbar, wenn staatliche Schulen Glaubensinhalte lehren, die weder überprüfbar noch für alle verbindlich sind. Religion gehört ins Privatleben, in Familien und Gemeinden – nicht in Klassenzimmer, die eigentlich für Bildung, nicht für Bekenntnis da sind.
Auch pädagogisch gibt es gute Gründe für ein Ende. Religionsunterricht spaltet Schüler*innen, indem er sie nach Konfessionen sortiert, anstatt sie gemeinsam über Weltanschauungen, Werte und Ethik nachdenken zu lassen. Ein gemeinsames Fach wie „Philosophie“ oder „Ethik“ würde Zusammenhalt fördern und gleichzeitig kritisches Denken schulen.
Kritiker bemängeln zudem, dass Religion hier nicht kritisch-historisch behandelt wird, sondern in der Regel affirmativ: als etwas, das man glauben soll, statt als kulturelles Phänomen, das kritisch zu verstehen wäre.
Damit wird die Schule zur Verlängerung der Kanzel. In einer pluralistischen Gesellschaft, in der immer mehr Menschen konfessionslos sind, wirkt der klassische Religionsunterricht anachronistisch.
Ein säkularer Staat müsste konsequent sein: Religion als Privatsache behandeln und religiöse Inhalte aus dem Klassenzimmer verbannen.
Schließlich bleibt die Kostenfrage: Religionslehrer*innen werden vom Staat bezahlt, die Inhalte aber bestimmen die Kirchen. Dieses Outsourcing geistlicher Erziehung auf Steuerzahlerkosten ist ein Relikt aus einer Zeit, in der Staat und Kirche noch eng verflochten waren. Wer wirklich Religionsunterricht will, kann ihn außerhalb der Schule organisieren – die öffentliche Schule sollte ein Ort der Aufklärung, nicht der Missionierung sein.
Alternativen zum konfessionellen Religionsunterricht
Einfachste Lösung wäre natürlich die Abschaffung. Stattdessen könnte man aber auch Religionskunde oder Ethik flächendeckend anbieten – ein Fach, das über Religionen informiert, sie aber nicht predigt. Entsprechende Vorschläge werden aber immer wieder von der Politik und konservativen Verbänden abmoderiert, obwohl auch die Schüler*innen selbst die Abschaffung des konfessionellen Religionsunterrichts fordern.
Jüngstes Beispiel ist Niedersachsen: Auch hier wurde der Abschaffung des RU mal wieder eine Absage erteilt, unter dem Applaus der Landeskirchen und des sich zu diesem Thema stets verlässlich meldenden Philologenverbandes, der laut eigener Satzung konfessionell neutral ist, den konfessionellen RU aber als „ für die Gesellschaft (…) identitätsstiftend“ sieht – ein Widerspruch in sich, weil der Religionsunterricht ja nach Konfessionen getrennt erteilt wird.
Auch in Bayern wird am RU nicht gerüttelt – obwohl es an allen Ecken und Enden an Lehrpersonal fehlt. Es wurde eine neue Stundentafel für die staatlichen Schulen verabschiedet, der für Deutsch und Mathe mehr Zeit vorsieht. Englisch, Werken, Kunst und Musik wurden dafür gekürzt.
Martina Borgendale, Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW Bayern, steht fassungslos vor der bayerischen Entscheidung, trotz akuten Lehrermangels und Überlastung des Lehrkörpers Religion mit drei Wochenstunden in der Stundentafel zu belassen.
Das bedeutet, die Schüler erhalten genauso viel Religionsunterricht wie Sport. Und mehr als Englisch. Zudem strapaziert er die Personalressourcen im besonderen Maß durch die Trennung der Klassen nach Konfessionen.
„Wir fordern ein einstündiges Fach ‘Werteerziehung’. Der Religionsunterricht wird der Realität in einer multikulturellen Gesellschaft nicht mehr gerecht und benötigt natürlich auch personell unglaublich viele Ressourcen, weil ja immer geteilt werden muss. Doch um gemeinsame Werte zu vermitteln, braucht es unbedingt den Klassenverband. Es wirkt beinahe dogmatisch, dass hier nicht zum Wohle aller gekürzt wird. Man hätte sich in der Sache mehr Mut von der Kultusministerin gewünscht, die sich einem „Machtwort“ des Ministerpräsidenten gebeugt zu haben scheint.“
Quelle
Petitionen zur Abschaffung des konfessionellen Religionsunterrichts
Hin und wieder gibt es von Privatpersonen initiierte Petitionen, die das Ziel haben, den RU an öffentlichen Schulen abzuschaffen. Einen Link zu einer solchen findest du hier – leider ist da kein Zug auf der Kette und es haben nur ein paar Dutzend Menschen unterschrieben.
Fazit
Religionsunterricht in Deutschland ist ein Paradebeispiel für die Verquickung von Staat und Kirche. Er kostet Milliarden, spaltet Schüler nach Bekenntnissen und sichert der Kirche Einfluss, den sie längst nicht mehr aus eigener Kraft hätte.
Die logische Konsequenz wäre: Weg mit der Indoktrination auf Staatskosten – und hin zu einem wirklich neutralen Bildungssystem.
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