Sind Religionen arrogant? Und wieso sollen gerade die abrahamitischen Religionen, also Judentum, Christentum und Islam, arrogant sein? Ist das überhaupt eine sinnvolle Behauptung, und wieso versteige ich mich zu ihr?
Trennschärfe: Menschen vs. Ideologie
Als Atheist bekommt man oft vorgeworfen, der Atheismus sei arrogant, weil man „es angeblich besser weiß als Gott“. Das ist eine seltsame Behauptung, eine Behauptung, die wenig Sinn ergibt.
Denn dann müsste man zunächst akzeptieren, dass es diesen Gott gibt, dass er spricht, dass er etwas mitteilt – und dass der jeweilige Gläubige verlässlich weiß, was Gott denkt. Genau das ist ja der Punkt, an dem Atheismus einsetzt: Er bestreitet nicht Gottes Meinung, sondern Gottes Existenz.
Der Vorwurf der Arroganz lässt sich in die andere Richtung viel besser darlegen. Ich will nicht sagen, dass ich per se die Anhänger*innen der monotheistischen Religionen für arrogant halte.
Ich behaupte aber, dass sie einer Ideologie folgen, deren ontologische Fundamente sich großteils aus sich selbst heraus entwickelt werden; ein logisches Husarenstück mit dem Gläubigen als Protagonisten, das aber im Solipsismus endet.
Atheismus als Nullhypothese
Tatsächlich ist die Rollenverteilung nämlich genau umgekehrt wie der theistische Arroganz-Anwurf. Atheismus sagt im Kern etwas eigentlich Bescheidenes: „Ich weiß es nicht – und solange es keine überzeugenden Gründe gibt, glaube ich es nicht.“ Das ist erkenntnistheoretisch die Normalposition, die Nullhypothese.
Arrogant wäre es, mit absoluter Gewissheit zu behaupten, Gott existiere nicht. Das ist üblicherweise nicht die Grundhaltung des Atheismus. Und außer Viktor Stenger kenne ich niemanden, der sie öffentlich vertritt.

Der Theismus allerdings behauptet diese Gewissheit: Er spricht im Brustton der Überzeugung über die Eigenschaften, den Willen und die moralischen Erwartungen eines unsichtbaren, allmächtigen Wesens – inklusive detaillierter Ansichten zu Sexualität, Ernährung, Kleidung und Jenseitsstrafen. Dabei schmückt man sich gleichzeitig mit selbstattestierter Bescheidenheit, Demut und Hingabe.
Wer aber behauptet, der Schöpfer des Universums habe exakt diese eine Religion, diese eine Schrift und diese eine Moralordnung offenbart, ist nicht demütig, sondern geradezu erstaunlich selbstsicher.
Jede totalitäre Ideologie ist arrogant
Totalitäres Denken bringt immer einen gewissen Solipsismus, eine gewisse Arroganz schon von Grund auf mit sich: Indem totalitäre Ideen für sich in Anspruch nehmen, die Wirklichkeit „endgültig“ zu erklären und daraus einen ebenso endgültigen Deutungs- und Handlungsanspruch ableiten, betrachten sie sich selbst immer schon als der Weisheit letzten Schluss.
Solche Systeme dulden keinen Widerspruch und nehmen keine Herausforderungen von außerhalb an. Alles und jeder ist nur und ausschließlich aus der Perspektive ihrer jeweiligen Fundamente, Axiome und Dogmen zu sehen.
Abweichungen sind nicht vorgesehen und können a priori nicht als gültig zugelassen werden. Zur Bekämpfung streithafter Gegenpositionen wie etwa des Polytheismus, des Agnostizismus oder des Atheismus, wird entsprechend im Namen des Glaubens verzerrt, verdreht und fast zwanghaft gelogen.
Vertreter solcher nicht-konformen Häresien sind Ketzer und im besten Fall als Aussätzige oder Toren zu behandeln, in allen anderen Fällen müssen sie verbrannt werden. So zumindest die Argumentation der Inquisitoren während der Autodafés.

Ein Glück, dass weder die katholische noch sonst eine Kirche in unserem Land noch genug politische Macht innehat, um dies weiterhin zu tun.
In anderen Ecken der Welt werden aber nach wie vor Menschen – vorrangig im Namen des Islam – von den Männern Gottes (und es sind immer Männer) ohne Gnade mit Stöcken geschlagen, verstümmelt oder gehenkt.
Man ahnt, auf welchem Powertrip sich die angeblich göttlichen Gesandten in den vergangenen 30 Jahrhunderten befanden.
Abrahamitische Religionen: „Was ist das denn für ein Käse?“
Ein Mensch, der sich von den Denkvorgaben und Denkverboten der abrahamitischen Religionen emanzipiert hat, oder von Haus aus von ihnen unbelastet blieb, muss lachen, wenn er die angeblich heiligen Bücher liest – so ungeschliffen sind sie, so tribalistisch, so ignorant.

So lese ich etwa meinem 10-jährigen Sohn aus der Bibel vor – ich finde, die Kenntnis des Textes gehört zur humanistischen Grundausbildung. Dasselbe gilt für den Koran.
Diese Lektüren sind für uns beide in der Regel sehr erheiternd. Wir können sie nicht ernst nehmen – denn sogar einem Zehnjährigen fallen die scheunentorgroßen Logiklöcher in den Plots auf, die kindische Symbolik und die Dummheit der Behauptungen und kodifizierten Regeln.
So etwa, wenn ein Rind gesteinigt werden soll, wenn es einen Menschen umstößt und dieser dabei stirbt. Oder wenn Jahwe „das Herz des Pharaos“ erhärtet, um auf verschlungenen Pfaden den angeblichen Exodus einzufädeln – inklusive des Mordes an den ägyptischen Säuglingen.
„Hä? Aber warum? Und warum auf diese Weise?“ – das ist die nachvollziehbare Reaktion des Kindes. Und wir kichern dabei.
Das Lachen bleibt uns aber spätestens dann im Halse stecken, wenn es im Namen Gottes zum Völkermord kommt, zum Infantizid, zur Sklaverei; zur Unterdrückung oder gar Ermordung von Kindern und Frauen. Hier zeigt sich die wahre, irdische Triebfeder der Religionen: soziale Kontrolle um jeden Preis.

Gott und sein Mini-Me: Jahwe und ich
Und es sind genau diese kruden Geschichten, die zur Grundlage der abrahamitischen Selbstzentriertheit werden. Beginnend beim Schöpfungsmythos, in denen der angebliche Urheber des Kosmos Jahwe seiner Kreation mit dem Homo sapiens die Krone aufsetzt.

Indem er den Menschen angeblich als sein „Ebenbild“ projektiert, macht „Gott“ das menschliche Mini-Me als irdisches Gefäß für seine Göttlichkeit. Das hebt die Stimmung und es kommt Freude auf: Wir sind nicht nur irgendwer, sondern das Maß aller (sterblichen) Dinge und irgendwie also auch ein bisschen bluna. Das ist schon vor dem Hintergrund antiker Kosmologien fraglich, von denen es reichlich gibt.

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Legt man die Erkenntnisse moderner Wissenschaften als Schablone darüber, entsteht ein groteskes Zerrbild; ein kosmisches Kaleidoskop, das letztendlich nur das eigene Wunschdenken spiegelt.
So gut wie alles, was wir über die Erde und das Universum wissen, müsste verworfen werden – Astronomie, Biologie, Geologie können keinen Bestand haben, wenn die kreationistischen Phantasien zuträfen.
Zu einer derart radikalen Wissenschaftsskepsis lassen sich selbst Hardcore-Gläubige nicht leicht verleiten. Und trotzdem gibt es zahllose fundamentalistische Theisten, die an eine flache Erde, an eine junge Erde und an den Wortsinn der Schriften glauben.

Der Mensch als Zentrum der Schöpfung
Die Alternative im Glauben ist: Man erkennt die Erkenntnisse der Wissenschaften an, überlagert diese aber mit einer willkürlichen Auswahl von Interpretationen der Bibel.
Diese „Harmonisieren“ führt zu einer grotesken Überbewertung der menschlichen Rolle in der „Schöpfung“: Denn nun wird der Mensch zum Mittelpunkt nicht nur des Daseins auf der Erde, sondern zum zentralen Geschöpf des Sonnensystems, der Milchstraße mit ihren rund 200 Milliarden Sternen und in letzter Konsequenz des ganzen sichtbaren Universums, welches wiederum mehrere hundert Milliarden Galaxien umfasst.

Das alles dreht sich um uns, ja eigentlich nur um mich, denn Gott hat dies alles auch für mich so eingerichtet, weil er mit mir eine persönliche Beziehung haben will. Ist das etwa nicht arrogant?
Die Arroganz des Judentums
Und der Sonderstatus geht ja noch weiter, er ist die Grundlage des jüdischen Glaubens: Nur wer Teil des „auserwählten Volkes“ ist, wird Nutznießer des besonderen „Bundes“, den Jahwe mit Abraham und seinen Nachfolgern eingeht und geht eine „persönliche“ Beziehung mit dem Schöpfer ein. Alle anderen schauen mit dem Ofenrohr ins Gebirge.

Diese exklusive Vertragsidee zwischen Gott und einem bestimmten Volk ist kein Nebeneffekt, sondern theologischer Kern. Wer dazugehört, steht auf der richtigen Seite der Geschichte; wer nicht dazugehört, darf immerhin neidvoll zusehen.
Diese Logik ist nach innen identitätsstiftend, nach außen aber zwangsläufig arrogant: Wahrheit wird zum Erbstück einer angeblich exklusiven Stammesgeschichte – und ist nichts, das man prüft oder teilt.
Gott spricht damit nicht zu allen, sondern nur zu seinem Lieblingspublikum – ethnisch, genealogisch, historisch. Dass spätere jüdische Theologien diese Auserwähltheit oft ethisch entschärfen oder universalistisch umdeuten, ändert nichts am Grundproblem: Die Erzählung selbst behauptet einen göttlichen Exklusivvertrag. Erkenntnistheoretisch ist das solipsistisch: Die eigene Tradition wird zur höchsten Instanz, externe Kritik zum irrelevanten Anwurf von außen.
Die Arroganz des Christentums
Die Anhänger Jesus Christus übernehmen das und bauen die Exklusivität nun um. Anfangs als häretische Splittergruppe innerhalb des Judentums verlacht, treten sie nun nicht mehr per ethnischer Zugehörigkeit der göttlichen Sondereinheit bei, sondern per gedanklicher Unterwerfung unter den Nazarener, der als angeblicher Erlöser im „Heilsplan“ die entscheidende Rolle spielt.
Diese Unterwerfung ist Bedingung für das Mitspielen im Erlösungssandkasten. Spieleinsatz ist die unsterbliche Seele, der ansonsten Höllenqualen drohen – ein Konzept, das im AT übrigens noch nicht verbreitet ist.
Wer nicht will – oder kann, schließlich sucht man sich nicht bewusst aus, was man für überzeugend hält –, steht außerhalb der Wahrheit, außerhalb des Heils, außerhalb der göttlichen Gnade. Das kann man nicht mehr wirklich als Einladung verstehen.
Es ist Erpressung mit einem durchgehend arroganten Absolutheitsanspruch. Die angebliche Erlösung wird dabei zum einzigen Ausweg für ein Problem, das die Religion selbst erfunden hat. Sünde, Schuld, Erlösungsbedürftigkeit – alle Voraussetzungen für dieses System basieren auf bloßen Behauptungen der Christologie und sind frei erfunden.

Wer widerspricht, verweigert sich nicht einer Idee, sondern angeblich Gott selbst. Kritik wird so metaphysisch kriminalisiert.

Die Arroganz des Islam
Der Islam schließlich setzt dem Ganzen die Krone auf, indem er sich als „letzte“ und endgültige Offenbarung präsentiert. Alle vorherigen Religionen hatten demnach ihre Chance – und sind gescheitert, verfälscht, korrumpiert.
Jetzt aber kommt die finale Version – angeblich fehlerfrei, unveränderlich, zeitlos gültig. Theologisch ist das eine Meisterleistung an Selbstimmunisierung: Wenn du widersprichst, bist du entweder unwissend, unehrlich oder moralisch verkommen. Die Wahrheit ist abgeschlossen, Diskussion zwecklos. Dabei erweckt die angebliche „Rezitation“ nicht gerade den Anschein, fehlerfrei oder göttlich zu sein.
Besonders arrogant ist dabei die rückwirkende Vereinnahmung: Abraham/Ibrahim, Mose, Jesus – alle eigentlich Muslime „avant la lettre“. Geschichte wird umgeschrieben, um die eigene Endgültigkeit zu bestätigen.
Das ist religiöser Solipsismus in Reinform: Die eigene Offenbarung ist Maßstab für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Arroganz 2.0: Sie nennen es „Demut“
Alle drei abrahamitischen Religionen leiden an derselben Grunderkrankung: Sie halten ihre jeweilige Perspektive nicht nur für eine Deutung der Welt, sondern für deren metaphysisches Betriebssystem.
Wahrheit ist hier kein Ergebnis von wissenschaftlicher Methode oder auch bloßen Argumenten, sondern von Offenbarung – und damit per Definition unantastbar. So verpasst man sich selbst das göttliche Gütesiegel für weltanschauliche Überzeugungen. Wer anderer Meinung ist, liegt nicht einfach falsch, sondern außerhalb des Sinns.
Religion wird so zur Selbstbestätigungsschleife: Man erklärt sich selbst für wahr, weil man glaubt, dass Gott einen bestätigt. Gott kümmert sich ja schließlich um einen und hat für Stefan aus dem zweiten Stock einen heimlichen Plan, der ihm praktischerweise durch irdische Stellvertreter „erläutert“ wird.

Irgendwie schafft Gott es nämlich nicht, intersubjektiv nachvollziehbar zu kommunizieren, sondern bevorzugt Visionen und Träume für seine „Offenbarungen“. So erstellt sich jeder sein persönliches Bild von Gott, das erstaunlicherweise immer genau mit dem korreliert, was man eh schon glaubt.
Man verlangt dann von anderen, dasselbe auf Zuruf auch zu glauben. Schließlich reicht ja eine Offenbarung für alle. Wer diesen Mechanismus hinterfragt, gilt als moralisch defizitär. Die Ironie ist, dass sich besonders Apologeten dabei als „demütig“ sehen, als bescheidenes, genügsames Vehikel des göttlichen Willens. Gleichzeitig können sie nichts von ihren metaphysischen Behauptungen belegen.
Dafür tun Religionsvertreter alles, um den öffentlichen Raum mit Dominanzsymbolen zu markieren und sozialen Druck vor allem auf die aufrechtzuerhalten, die sich nicht gut dagegen wehren können: Kinder, Kranke, Notleidende. Wer das als „Demut“ auffasst, ist vollkommen orientierungslos.

Erkenntnis, Überprüfbarkeit und Skepsis enden dort, wo Offenbarung beginnt – und genau das macht diese Systeme so resistent gegen Vernunft und so überzeugt von sich selbst.
Die Arroganz der objektiven Moral
Ein besonders aufschlussreicher Sonderfall religiöser Arroganz ist der Anspruch auf „objektive Moral“. Denn theistische Positionen behaupten, wir Ungläubige könnten Gut von Böse und Recht von Unrecht nicht unterscheiden, wenn wir ihre absurden mythologischen Märchen von sprechenden Schlangen, in Schweinen gefahrenen Dämonen und geteilten Monden nicht schluckten.
Religiöse Systeme treten hier nicht bescheiden als moralische Gesprächspartner auf, sondern als kosmische Gesetzgeber: Moral sei nicht verhandelbar, nicht historisch gewachsen, nicht fehlbar – sondern von Gott festgelegt. Und du hältst dich besser auch daran.
Wer widerspricht, liegt nicht einfach anders, sondern ist „gegen das Gute selbst“. Wer Moral objektiviert und an eine göttliche Quelle bindet, immunisiert sie gegen Kritik. Steinigung, Sklaverei, Frauenunterordnung oder Homophobie werden so nicht als zeitbedingte überholte Normen erkennbar, sondern als ewige Wahrheiten verklärt – bis sie gesellschaftlich nicht mehr haltbar sind und hastig „neu ausgelegt“ werden müssen.
Ironischerweise zeigt gerade diese ständige Nachjustierung, wie wenig objektiv diese Moral ist. Der eigentliche Hochmut liegt nicht darin, Moral ohne Gott zu denken, sondern darin zu behaupten, man habe exklusiven Zugriff auf den moralischen Willen des Universums – inklusive der erstaunlich deckungsgleichen Übereinstimmung mit den eigenen kulturellen Vorurteilen. Ich weiß ja nicht, wie’s euch geht, aber ich hab genug davon, mich von Leuten, die so etwas denken, als arrogant bezeichnen zu lassen.

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