Welche Religion die „wahre“ Religion ist, lässt sich nicht ohne Weiteres beantworten. Sicherlich stellst du dir diese Frage, weil du entweder einer Glaubensgemeinschaft angehörst und dich nun fragst, ob es denn auch die „richtige“ ist – oder ob vielleicht doch die anderen Recht haben?
Oder du zweifelst generell am Konzept des Gottesglaubens und fragst dich, ob es überhaupt eine „wahre“ Religion gibt.
Kann nur eine Religion wahr sein? Oder auch mehrere?
Viele Religionen streiten sich um die ontologische Deutungshoheit. Alle denken, sie haben Recht. Alle denken, nur ihre Religion ist wahr. Aber was stimmt denn jetzt? Ist der Islam wahr? Oder das Judentum? Oder haben die Christen Recht? Oder der Hinduismus? Oder doch die Mormonen oder gar der Zoroastrismus? Oder das Alevitentum?

Gehen wir’s mal ganz logisch an. Es gibt viele Religionen und tausende Götter. Oft erheben Religionen einen universellen Deutungsanspruch, das heißt: Nach eigener Aussage können nur sie selbst wahre Religionen sein. Die anderen sind falsch, Fehldeutungen, Betrug, Häresie, Ketzerei und so weiter.
Irre, wie offensichtlich falsch (oder gefälscht) die jeweils anderen Religionen immer sind, oder?
Eine weitere Komplikation in Bezug auf die wahre Religion: Die unterschiedlichen Überzeugungen widersprechen sich direkt oder schließen einander aus.
Beispiel: Wenn ich an die Schöpfungsgeschichte der Bibel glaube, können automatisch alle anderen Schöpfungsmythen nicht richtig sein. Jede Abweichung wäre dann ein Fehler von der wahren Religion.

Die Logik der wahren Religion
Das lässt im Prinzip nur vier logische Varianten zu:
- Alle Religionen sind wahr.
- Einige Religionen sind wahr.
- Nur eine Religion ist wahr.
- Keine Religion ist wahr.
Variante (1) kann nicht zutreffen, weil es sich widersprechende Religionen gibt. Wenn Jahwe so existiert, wie sich Christen dies vorstellen, kann zum Beispiel Zeus nicht der Allvater sein.
Variante (2) wäre grundsätzlich möglich, solange sich die „wahren Religionen“ nicht grundlegend widersprechen. Hier könnte man beispielsweise an katholische und evangelische Christen denken. Da gibt es zwar Unterschiede, aber im Großen und Ganzen glauben sie, dass es Gott gibt und dass Jesus Christus auch ein Gott ist – jedenfalls im übertragenen Sinn.
Variante (3) nimmt es hier etwas genauer: Das würde zum Beispiel bedeuten, dass nur die Katholiken die wahre Religion hätten. Als evangelischer Christ müsste man dann trotzdem nach dem Tod in die Hölle. Tja, Pech gehabt: Knapp daneben ist auch vorbei.

Variante (4) wird vom Atheismus vertreten. Dieser besagt, dass es keine hinreichenden Gründe gibt, an die Existenz auch nur eines einzigen Gottes zu glauben.
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Was bedeutet Wahrheit in Bezug auf Religion?
In Bezug auf Religion kann der Begriff „Wahrheit“ auf verschiedene Weisen interpretiert werden. Seine Bedeutung hängt stark von den theologischen und religionsphilosophischen Ansichten innerhalb einer bestimmten Glaubensrichtung ab.
Bevor wir das vertiefen, sehen wir und aber vorher abseits der Theologie an, was der Stand der Dinge in der wissenschaftlichen Erkenntnistheorie ist.
Wahrheit in der Wissenschaft
Klären wir also zunächst, was die Wissenschaft unter Wahrheit versteht. Hier wird der Wahrheitsbegriff oft im Kontext der Empirie, der wissenschaftlichen Methoden und der Überprüfbarkeit von Aussagen definiert.
Empirische Überprüfbarkeit
Wissenschaftliche Aussagen sollten empirisch überprüfbar sein. Das bedeutet, dass sie durch Beobachtungen, Experimente oder andere nachprüfbare Methoden überprüft werden können. Wissenschaftliche Erkenntnisse beruhen oft auf nachweisbaren Fakten und wiederholbaren Experimenten.
Falsifizierbarkeit
Der Wahrheitsanspruch wissenschaftlicher Aussagen ist nach Popper mit Falsifizierbarkeit verbunden. Das bedeutet, dass wissenschaftliche Hypothesen oder Theorien so formuliert werden sollten, dass sie durch Experimente oder Beobachtungen widerlegt werden können.

Korrespondenztheorie der Wahrheit
Die Korrespondenztheorie der Wahrheit besagt, dass eine Aussage als wahr betrachtet wird, wenn sie mit den tatsächlichen Gegebenheiten oder Fakten in der Welt korrespondiert. Wissenschaft strebt danach, Modelle und Theorien zu entwickeln, die die Realität so genau wie möglich beschreiben.
Konsens und Peer-Review
Wissenschaftliche Erkenntnisse werden oft durch den Konsens in der wissenschaftlichen Gemeinschaft gestärkt. Das Peer-Review-Verfahren, bei dem Fachkollegen Forschungsergebnisse überprüfen, trägt zur Qualitätssicherung bei und hilft, falsche oder ungenaue Informationen zu identifizieren.
Reproduzierbarkeit
Wissenschaftliche Experimente und Studien sollten reproduzierbar sein, was bedeutet, dass andere Forscher die gleichen Bedingungen schaffen und dieselben Ergebnisse erzielen können. Die Reproduzierbarkeit stärkt die Zuverlässigkeit wissenschaftlicher Ergebnisse.
Theoretische Kohärenz
Wissenschaftliche Modelle und Theorien sollten eine hohe theoretische Kohärenz aufweisen, indem sie vorhandenes Wissen integrieren und keine widersprüchlichen Annahmen enthalten. Kohärenz trägt zur Überzeugungskraft einer wissenschaftlichen Erklärung bei.
Glaubenswahrheit und die wahren Religionen
Was bedeutet im Vergleich dazu der Begriff der Wahrheit in der Religion? In vielen Religionen wird Wahrheit oft im Kontext des Glaubens betrachtet. Gläubige können an die Wahrhaftigkeit ihrer religiösen Lehren und Überzeugungen glauben, je nach Religionszugehörigkeit basierend auf heiligen Schriften, spirituellen Erfahrungen oder der Überlieferung religiöser Autoritäten.
Das Problem mit Glaubenswahrheiten ist, dass diese nicht intersubjektiv vermittelbar sind: Wenn ich eine Erleuchtung habe, oder eine „Offenbarung“, kann ich dies zwar kommunizieren – für meine Mitmenschen überprüfbar ist dies jedoch nicht. Sie müssen mir halt „glauben“.
In diesem Sinne und im Vergleich zum obigen Katalog der empirischen Wissenschaft gehört es sozusagen zum Kern von Glaubenswahrheiten, dass man sie trotz oder manchmal sogar wegen ihrer mangelnden Überprüfbarkeit für wahr hält. „Wider besseres Wissen“ erhält hier eine ganz neue Bedeutung.
Objektive Wahrheit
Einige Religionen beanspruchen objektive Wahrheit für ihre Lehren. Das bedeutet, dass die Glaubensinhalte nicht nur als persönliche Überzeugungen betrachtet werden, sondern als universell gültig und wahr für alle Menschen, unabhängig von ihren individuellen Ansichten.
Das ist kein geringer Anspruch, und Atheisten weltweit tun gut daran, diese Objektivität kritisch zu betrachten. Meist ist die Behauptung dieser Objektivität eben nur das: eine behauptete Objektivität. In den wenigsten Fällen ist diese Objektivität nachvollziehbar begründet. Meist fußt der Anspruch auf der Deutung sogenannter „heiliger“ Schriften.

Moralische Wahrheit
Der Begriff der Wahrheit kann auch auf moralischer Ebene interpretiert werden. Religionen bieten oft moralische Richtlinien und ethische Prinzipien, die als wahr und göttlich geboten betrachtet werden. Die Wahrheit in diesem Kontext bezieht sich darauf, wie Menschen nach den moralischen Maßstäben ihrer Religion leben sollen.
Im Gegensatz hierzu werden säkulare Prinzipien der Moral oft als „relativistisch“ verunglimpft. Als relativistisch bezeichnet die Kirche die frevlerische Handlung, dass man über moralische Prinzipien nachdenkt und sie hinterfragt.
Ironischerweise werden die Teile der heiligen Schriften, die offensichtlichen Unsinn enthalten oder moralisch verwerfliche Handlungen sanktionieren (Sklaverei, Unterdrückung der Frau, Vernichtung benachbarter Völker, …) meist so verortet, dass sie nur „Gleichnisse“ seien, die man „interpretieren“ müsse.
Ist das nicht einfach ein anderes Wort für „relativieren“? Und bedeutet dies nicht auch, dass zum Beispiel die Bibel zweierlei Wahrheiten beinhaltet, eine absolute und eine relative? Und den Leser*innen käme es zu, dies zu unterscheiden? Fragen über Fragen.

Transzendente Wahrheit
Einige religiöse Traditionen betonen die Idee einer transzendenten Wahrheit, die über die menschliche Erfahrung und das irdische Dasein hinausgeht. Diese Wahrheit kann als göttliche Realität oder als letztendliche spirituelle Erkenntnis betrachtet werden.
Auch hier gibt es viele Probleme. Transzendente Erfahrungen lassen sich beispielsweise in extremen physiologischen Zuständen, nach Einnahme psychedelischer Substanzen und bei der Meditation machen. Insbesondere die drogenindizierten mystischen Erfahrungen deuten darauf hin, dass diese durch eine Veränderung des Gehirns hervorgerufen werden, und nicht durch die Erfahrung einer ansonsten den Sinnen und der Wissenschaft verborgenen Geisterwelt.
Wie kann man überprüfen, welches die wahre Religion ist?
Das wird schwer! Denn: Die Frage nach der Wahrheit einer Religion ist nicht nur komplex, sondern auch sehr subjektiv. Menschen glauben gerne das, was ihnen als Kinder vorgebetet (!) wurde.
Mit echten Begründung wird oft gar nicht gearbeitet, sondern es werden halt die Dogmen nachgeplappert, die die Erwachsenen vorsprechen. Als Kind hat man deshalb kaum Chancen, sich ein präzises Urteil selbst zu bilden. Hierzu bedarf es eines gewissen Lebensalters und auch einiger Reife.
Wir dröseln mal auf, was so ins Feld geführt wird, wenn es um die wahre Religion geht.
1. Persönliche Überzeugung und Glaubenserfahrung
Viele Gläubige betrachten persönliche Glaubenserfahrungen und Überzeugungen als entscheidenden Beweis für die Wahrheit ihrer Religion. Solche Erfahrungen können spirituelle Erlebnisse, Gebetserfahrungen oder tiefe emotionale Verbundenheit mit den Glaubensinhalten sein.
2. Heilige Schriften und Lehren
Die heiligen Schriften und Lehren einer Religion gelten oft als Quellen der göttlichen Wahrheit. Gläubige können die Überprüfung der Wahrheit einer Religion durch das Studium dieser Texte und die Anerkennung ihrer göttlichen Autorität als wichtig erachten.
3. Historische und archäologische Evidenz
Einige Gläubige führen historische oder archäologische Beweise an, um die Wahrheit ihrer religiösen Überzeugungen zu stützen. Dies könnte die Überprüfung historischer Ereignisse oder die Suche nach archäologischen Beweisen für biblische Geschichten beinhalten. In diesem Zusammenhang zu nennen: Das Turiner Grabtuch, das Grab Jesu oder gar das Kreuz Jesu.
4. Moralische Prinzipien und Ethik
Die moralischen Prinzipien und ethischen Lehren einer Religion können für einige Menschen ein entscheidender Faktor bei der Überprüfung der Wahrheit sein. Wenn die moralischen Werte einer Religion als ethisch und göttlich gerechtfertigt angesehen werden, kann dies als Bestätigung ihrer Wahrheit dienen. Schwierig wird’s halt, wenn die Quatsch sind.

5. Interreligiöser Dialog und Vergleich
Manche Menschen neigen dazu, die Wahrheit ihrer Religion durch den interreligiösen Dialog zu überprüfen. Der Vergleich von Überzeugungen und Lehren verschiedener Religionen kann dazu beitragen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu verstehen und die eigene Überzeugung zu reflektieren. Ob man damit aber über das Argument aus persönlichen Unglauben herauskommt, ist zu bezweifeln.
6. Philosophische Reflexion und Rationalität
Mit philosophischen Überlegungen und rationaler Reflexion wie der Theodizee-Frage kann man auch versuchen, die Wahrheit religiöser Überzeugungen zu überprüfen. Dies könnte die Kohärenz der theologischen Lehren, die logische Konsistenz und die philosophische Überlegung einschließen.
Ergebnis: die wahre Religion
Die Frage nach der „wahren“ Religion ist von individuellen Überzeugungen, kulturellen Hintergründen und persönlichen Erfahrungen geprägt. Verschiedene Menschen können unterschiedliche Ansichten dazu haben, welche Religion für sie persönlich wahr ist. Es gibt verschiedene Weltreligionen, darunter das Christentum, Islam, Judentum, Hinduismus, Buddhismus, Sikhismus, Jainismus und viele andere, von denen jede ihre eigenen Lehren und Überzeugungen hat.
Einige Gläubige argumentieren, dass ihre jeweilige Religion die „wahre“ ist, basierend auf ihren spirituellen Erfahrungen, heiligen Schriften und dem Glauben an die Lehren ihres Glaubenssystems. Andere sehen Religionen als verschiedene kulturelle Ausdrucksformen, die auf unterschiedlichen Wegen zu spirituellem Wachstum und moralischer Führung führen können.
Aus einer empirischen, materialistischen Sicht hat sich allerdings bisher noch keine Religion als wahr herausgestellt – schon deswegen nicht, weil Religionen die Existenz von Göttern behaupten, welche noch nie zweifelsfrei dargelegt werden konnte. Und ohne Gottesbeweis kein Wahrheitsbeweis in der Religion.
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